: Ökologisch und unsozial
Deutschlands führende Windenergie-Firma Enercon kündigt in Izmir 70 Gewerkschaftsmitgliedern. IG Metall prüft eine Beschwerde bei der OECD
VON HANNES KOCH
Ökologische und soziale Qualität gehören nicht immer zusammen, haben 70 Beschäftigte der deutschen Windenergie-Firma Enercon erfahren. Bis vor kurzem arbeiteten sie im Enercon-Werk in der türkischen Stadt Izmir. Nun habe ihnen die Geschäftsleitung gekündigt, berichtet die türkische Gewerkschaft Birlesik Metal-Is. Der Grund für die Entlassungen, so Birlesik-Mitarbeiter Hasan Arslan gegenüber der taz, seien die Eintritte der Beschäftigten in die Arbeitnehmerorganisation.
Seit Mai versucht Birlesik, die Beschäftigten von Enercon zu organisieren, um Verhandlungen für höhere Löhne zu führen. Das wolle Enercon durch die Entlassungen unterbinden, erklärt Arslan. Wie in früheren Fällen will sich die Enercon-Zentrale in Aurich auch aktuell nicht äußern. „Wir geben keine Stellungnahme ab“, sagte gestern Enercon-Sprecher Volker Uphoff.
Enercon ist der führende deutsche Hersteller von Windkraftwerken zur Stromerzeugung. Weltweit beschäftigt die Firma rund 8.000 Mitarbeiter, in Izmir sind es nach den Kündigungen noch 350. „Die Vorfälle sind ein weiteres Indiz für die Gewerkschaftsfeindlichkeit der Firmenleitung“, erklärte IG-Metall-Vorstand Wolfgang Rhode.
Bereits im Mai und Juni hatte die taz über Kündigungen bei Enercon im In- und Ausland berichtet. Auch in Deutschland versucht das Unternehmen, gewerkschaftliche Tätigkeiten möglichst zu unterbinden. So entließ eine Enercon-Tochter 2004 zwei Beschäftigte, als sie einen Betriebsrat gründeten, sagt Grit Rolke von der IG Metall in Mainz. Bei Enercon gehören Repressalien und Einschüchterungen zur Geschäftspolitik: Firmengründer und Öko-Visionär Aloys Wobben kann Gewerkschaften nicht ausstehen.
Nachdem Birlesik Metal die deutsche Gewerkschaft um Hilfe gebeten hat, will IG-Metall-Vorstand Rhode dem Treiben nun nicht mehr tatenlos zusehen. „Enercon muss wissen, dass wir das Unternehmen verschärft beobachten“, so Rhode. Jedem Vorwurf werde man „juristisch nachgehen“.
Rhodes Kollege Klaus Priegnitz bringt ein Instrument ins Spiel, das bei Öko-Unternehmen noch nie angewandt wurde. „Wir streben ein Verfahren gegen Enercon vor der deutschen OECD-Kontaktstelle an“, sagt Priegnitz.
Dieses Gremium der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sitzt im Bundeswirtschaftsministerium. Es überwacht internationale Regeln, an die die Unternehmen sich halten müssen. Dazu gehört unter anderem, dass die Firmen keine Kinder- und Zwangsarbeiter beschäftigen und die Koalitionsfreiheit der Belegschaft garantieren. Alle Beschäftigten transnational tätiger Unternehmen haben demnach das Recht, einer Gewerkschaft beizutreten und diese mit Tarifverhandlungen zu beauftragen.
In Deutschland gab es bislang rund zehn OECD-Verfahren. Beispielsweise reichten Bürgerrechtsorganisationen eine Beschwerde gegen die Sportartikel-Firma Adidas wegen schlechter Entlohnung in Indonesien ein. Solche Verfahren haben nicht den Charakter eines juristischen Prozesses, sondern einer vermittelnden Anhörung. Am Ende steht kein Urteil, sondern ein Bericht. Die Diskussion des jeweiligen Falles in der Öffentlichkeit ist den Firmen nichtsdestoweniger unangenehm.