JAN FEDDERSEN über PARALLELGESELLSCHAFT
: Zum Rollkoffersound rotzende Japaner

Eine Fehlbuchung – und schon mussten acht Stunden auf dem Zürcher Flughafen entschleunigt verbracht werden

Zwanzig nach eins sollte die Maschine gehen, nach Hause, mit Vorfreude, endlich wieder im eigenen Bett, „Tagesschau“ und „Tatort“ und meinetwegen das „ZDF-Nachtstudio“. Aber die Frau von der Fluggesellschaft sagt: „Ich finde Sie auf keiner Liste.“ Was sich als Irrtum herausstellt, und zwar nicht als meiner. Unfassbar freundlich, sodass die Wut über den Buchungsfehler verlöscht wie ein Funke im Nieselregen, die Airline-Angestellte. „Ist es nicht schön? In acht Stunden geht der nächste Flieger, dann mit Ihnen.“

Was aber macht man in einem Flughafen, der nicht einmal architektonisch als Angeberprojekt in der Landschaft steht? Nur eine Art Raumstation mit U-Bahn zwischen den Terminals, offensichtlich megamäßig gewienertem Marmorfußböden, geräuschlos funktionierenden Laufbändern und Rolltreppen. Auf der Stelle also entschleunigen. Kaffee trinken. Ganz langsam. Alle anderen, wirklich alle anderen wirken jetzt hastig, gestresst. Wie eben noch man selbst. Hinter der Passkontrolle wird es noch lauer. Die letzten Zeitungsausschnitte, die langen Textriemen sind fast alle ausgelesen. Eine halbe Stunde und zwei Kaffee später sind auch die studiert und im Abfall. Shoppen? Pullover? Zigaretten – die, klar, aber ganz langsam ausgesucht.

Nach vier Stunden komme ich mir wie ein Nichtzugehöriger vor. Alle rennen, rufen sich nervös Dinge zu. Flughafenneulinge, die noch keine Routine an der Passkontrolle haben und glauben, eine lange Schlange vor ihr brächte sie um den Abflug, besonders die lärmen.

Über den Boden hört man Rollkoffer und -köfferchen schleifen. Gibt es denn gar keine Männer mehr, die ihre Bagage ordentlich zu tragen wissen? Stattdessen Menschen, die an Metallstangen Gepäck hinter sich herschleppen und Raum wegnehmen. Im Restaurant ein Ire, der auf Nachfrage zugibt, hier besonders gerne zu sitzen, das Bier sei teuer, aber man dürfe rauchen, in Dublin sei es damit wieder vorbei.

Neben ihm sitzen zwei Japaner. Der eine muss furchtbar unter seiner laufenden Nase leiden, aber er rotzt es alle zehn Sekunden die Nase hoch – und sehr oft muss er auch niesen, ohne ein Taschentuch vorzuhalten. Mit einem, vielleicht, Kollegen redet er und trinkt Bier. Wer lacht mit wem? Muss der andere mitlachen, weil der andere sein Chef ist? Oder ist der Erkältete wirklich unterhaltsam?

Zwei Stunden vor dem Start sehe ich an einem Schalter einer Fluglinie Zeitschriften. Solche, wie man sie an Bord findet und nur aufschlägt, um die Landkarte anzugucken, zu schauen, worüber das Flugzeug denn fliegen wird: Ist das schon der Bodensee? Aber hat man alle vernünftigen Zeitungen ausgelesen, sind auch Bordmagazine plötzlich interessant. Das der Lufthansa stylish, das von Air Berlin eher neoliberal Johannes-Kerner-munter: „Kopenhagen ist eine Reise wert.“ Möglich, aber jetzt dauert es noch eine Stunde in Zürich, allmählich räumt man das Handgepäck, geht in den Waschraum, widmet sich der Körperpflege und hat es immer noch überhaupt nicht eilig.

Eine lange, unnötige Zeit im Flughafen – das ist also auf seine Weise ein Weg, ganz langsam zu werden. Ohne Hektik. Man lernt die Warenangebote der Läden kennen, auch als Mann, der sonst nicht auf Shoppen steht.

Wirft sogar einen Blick in Schuhläden, die erkennbar nichts für eher grobe, breite, norddeutsche Füße bereithalten. Aber die Preise … Zürich ist schon eine Verlockung für alle, die arm sind: Es sieht schön und geschmackvoll aus, was man sich leisten kann, wenn man hat, was man aktuell gerade nicht hat.

All die Schokoladenläden, die Bars mit ihren fahlen Interieurs, keine Nuance von Pseudobarock. Sauber und glatt. Die Welt der Flughafenlounges ist eine smarte. Sehr schön modern. Endlich konnte man alles würdigen. Danke für die Fehlbuchung.

Fotohinweis: JAN FEDDERSEN PARALLELGESELLSCHAFT Verspätet? Gestrichen? kolumne@taz.de Morgen: Bettina Gaus über FERNSEHEN