NEUES AUS DEM ZOOLOGISCHEN GARTEN : All you can eat
LIEBLING DER MASSEN
Der Berliner Zoo hat ein Riesenproblem. Zu viele Tiere. Um genauer zu sein: Ungeladene Tiere der unvorhergesehenen Art machen rotzfrech einen auf echte Natur. Sie kommen der menschlichen Planwirtschaft buchstäblich ins Gehege, indem sie ganz old school die dort künstlich installierten Tiere auffressen. Der Gärtner würde „Unkraut“ dazu sagen – eine Wertung, die zum einen an den Rassenwahn der Nazis, zum anderen an deren Bezeichnung durch ihren Gegenspieler Churchill und zum Dritten an Gartenarbeit erinnert und mir daher zu mindestens zwei Teilen unsympathisch ist.
Aus Beobachtung lernen
Der Zooverantwortliche aber nennt es „Fuchs“ und äußert sich dazu im Presseinterview: So ein Fuchs sei nun mal sehr schlau, eines der wenigen Säugetiere, das aus Beobachtung zu lernen in der Lage ist. Selbst wenn man fünf Meter hohe Mauern hochzöge, würde es eben vor dem Eingang in die Rucksäcke der Besucher schlüpfen und auf diesem Wege durch den Kassenbereich gelangen, wodurch zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen wären: ein kostenloser Zoobesuch plus freier Zugriff aufs exotische All-you-can-eat-Buffet.
Wie schlau die Füchse sind, zeigt sich bereits an deren Beuteauswahl. Unter den Lieblingsopfern befinden sich so wertvolle und seltene Tiere wie Brillenpinguin und Parmakänguru. Klar, wer lässt sich schon in der Fressabteilung des KaDeWe einsperren, um dann nur Cervelatwurst zu klauen. Nach Schließzeit also schlendert der rote Räuber offenbar gemütlich von Gehege zu Gehege und studiert die Tafeln mit dem Speiseangebot: „Parmakänguru“, er leckt sich das Mäulchen, „das klingt doch schon mal sehr gut“.
Ein erster Schritt zum Schutz der Parmakängurus wäre ein weniger genießbar klingender Name. Das mag die Betroffenen kränken, doch lehrt die Erfahrung, dass der Hut zwar besser kleidet als der Helm, doch der Helm besser schützt als der Hut. Die Beschriftung ist schnell geändert. Zum Beispiel in Giftkänguru, Vomit oder Fishmäc. Damit schlüge man auch den Fuchs mit dessen eigenen Waffen, sprich mit seiner Schlauheit, was weit mehr bringt als Schrotflinten, Sprengfallen oder Flammenwerfer, deren kollaterale Wirkung dann nur wieder peinliche Erklärungen für den Verbleib von Eisbär oder Giraffe nötig macht.
Dass der Brillenpinguin zur leichten Beute wird, ist weniger leicht zu ändern. Die hässliche Sehhilfe lässt sich nicht verstecken. Erinnerungen an den Schulhof werden wach, wenn man nur einmal gesehen hat, wie ein Fuchs einem Pinguin die Brille wegnimmt und den wehrlosen Weichling mörderisch verkloppt. Der Status „seltenes Tier“ ist dem Vogel keine Hilfe, im Gegenteil: Unter Tieren heißt das nur so viel wie „Streber“. Und der wird gnadenlos gemobbt.
Selbst kleine Gazellen mussten schon dran glauben – die Beutetiere erreichen Größenordnungen, die ein Fuchs im Wald kaum frequentiert. Es würde niemanden verwundern, fänden die Pfleger eines Morgens einen toten Elefanten auf, den in der Nacht davor tausend Füchse umgeschubst und angeknabbert hätten. Nicht nur Intelligenz zeichnet Meister Reineke aus, sondern auch Flexibilität in der Anpassung an neue Lebensräume.
Von der Pfote zur Klaue
Da wird bei der Jagd auf Großwild der notorische Einzeljäger plötzlich zum Rudeltier, da erlernt das Hirn eines Hundeartigen komplexe Zusammenhänge wie den zwischen der Fälschung von Zahlungsdaten und der Anlieferung von Hundefutter, da verformt sich die Pfote innerhalb weniger Generationen zur Greifklaue, die nach Pfandflaschen und in Fahrscheinautomaten vergessenen Münzen angelt.
Zwar passen sich vermehrt auch Beutetiere an, doch wirkt das eher reaktiv: Die Flamingos lernen fleißig schreiben. Sie verfassen schon mal ihr Testament. Alles bekommt der Zoo. Bekäme, denn sie haben ja leider nichts. Außer Angst.