Flusslauf unter gläsernem Gewölbe

KUNST UND NACHHALTIGKEIT Die Gruppenausstellung „zur nachahmung empfohlen!“ in den Berliner Uferhallen zeigt Werke, die sich mit naturwissenschaftlichen, ökologischen und politischen Fragen auseinandersetzen

„KünstlerInnen haben die Aufgabe des Zuhörens, Beobachtens und Veröffentlichens übernommen“

KURATORIN ADRIENNE GOEHLER

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Okay, seien wir erst einmal vernünftig und schauen uns das SBF-System von Nana Petzet an. 1995 entwickelte es die Künstlerin als eine Alternative zum Grünen Punkt, dessen Recycling-System ihr zu energieintensiv und zu wenig effektiv erschien.

Den eigenen Vierpersonenhaushalt verwandelte sie in eine Testanlage, in dem aller Grüne-Punkt-Müll von der Familie selbst als Wertstoff gesammelt, gereinigt und wiederverarbeitet wurde: Was dabei nach einem halben Jahr herauskam, steht nun in der Ausstellung „zur nachahmung empfohlen!“ in den Uferhallen im Berliner Wedding. Knallbunt die vielen Körbe aus geflochtenem Plastik, die Wandbehänge und Teppiche aus Saftkartons, reichlich hoch und schon ziemlich Messie-like voll die Regale mit gestapelten Behältnissen von Putzmitteln und Dosen. Nicht wirklich nachahmenswert, denkt man, und auch die Künstlerin nennt das Ergebnis „eine Verstopfung“. Was aber immerhin die Erkenntnis bringt, dass vor dem Recyclen die Müllvermeidung die eigentliche anzupackende Aufgabe ist.

Ein paar Schritte weiter kommt man von der Vernunft zur Rachefantasie: „Flooded McDonald’s“ heißt ein Video von der dänischen Gruppe Superflex. Die Esser eines McDonald’s in einem asiatischen Land sind, möglicherweise von einer Katastrophennachricht aufgescheucht, schon geflohen, als der Film einsetzt, nur ihre angebissenen Reste liegen noch auf den Tischen. Unheimlich grinsen die Plastik-Clowns der Fastfoodkette in den Raum, der still und leise mit Wasser vollläuft. Und während man zuerst Fritten und Becher, Dekofiguren und schließlich selbst die Stühle in immer größerer Dunkelheit treiben und trudeln sieht, ist genug Zeit, an die Umweltsünden der Kette, an furzende Rinder, Ozonlöcher und nicht zuletzt an die Überschwemmungen der Gegenwart zu denken.

Suggestive Machart

Dass man aber überhaupt so lange sitzen bleibt, liegt an der suggestiven Machart der Bilder, die den Untergang ästhetisch auch zu einem durchaus lustvollen Erlebnis machen. Denn glücklicherweise ist die Ausstellung „zur nachahmung empfohlen“ dann doch nicht durchgehend so didaktisch, wie es der Titel zuerst nahelegt. Zwar steht hier jede Arbeit im Kontext gesellschaftlicher und ökologischer Konfliktfelder und nicht wenige Projekte widmen sich dem Umbauen, etwa von alten Waschmaschinen zu Windrädern (Christian Kuhtz), oder von Autos zu Fahrrädern (Folke Köbberling/Martin Kaltwasser).

Man kann in Workshops daran partizipieren, auch an dem Versuch, das Wasser der Panke, an deren Ufer die Uferhallen stehen, selbst zu filtern im Projekt „Berliner Schöpfung“. Doch stets sind das modellhafte Anlagen, weniger tauglich für eine Massenproduktion im Alltag, als vielmehr für eine sinnliche Vertiefung der Erfahrung. Man weiß zum Beispiel, dass die Panke ein kanalisierter Flusslauf ist; hier lernt man dann, dass auch akustisch wahrnehmbar ist, was ihr fehlt zur Selbstreinigung, der Kies, der Sand, die Pflanzen, die Biegungen. So entsteht aus dem Mangel ein eigenes akustisches Porträt. Oder die Fahrräder, die Köbberling/Kaltwasser aus Autos bauen: Das sind hybride Ungeheuer, die mehr an den Technikfetischismus und das Postkatastrophen-Setting von „Mad Max“ erinnern, denn an alltagstaugliche Räder.

Initiatorin und Kuratorin der Ausstellung ist Adrienne Goehler. „Die große Krise, die wir haben, ist ja auch eine Krise des Expertentums“, sagt sie im einleitenden Interview des Katalogs. Sie hat deshalb nach künstlerischen Positionen gesucht, die sich grenzüberschreitend mit naturwissenschaftlichen, ökologischen und politischen Fragen auseinandersetzen. Dass auch Künstler die Welt dort nicht retten können, wo die Politik versagt hat, weiß sie wohl, aber „KünstlerInnen haben die Aufgabe des Zuhörens, Beobachtens und Veröffentlichens übernommen. Und Kunst kann das Unsichtbare sichtbar machen.“

Wie etwa Michael Saup, der den CO2-Ausstoß, der allein durch das Runterladen und Abspielen des Filmtrailers „Avatar“ in einem halben Jahr entstand, durch einen Block aus gestapelten Briketts veranschaulicht. Neu sind solche künstlerischen Gesten freilich nicht. Im Jahr 1989, das Umweltbewusstsein war durch die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl noch hoch sensibilisiert, zeigte das Künstlerhaus Bethanien in Berlin zusammen mit der Stadtgalerie Saarbrücken die Ausstellung „Ressource Kunst – Die Elemente neu gesehen“. Schon da war das Archiv der verschwundenen Weizenlandrassen, das Ursula Schulz-Dornburg in den Uferhallen zeigt, Teil des Projekts, ebenso wie die schönen Zeichnungen beschädigter Insekten, die Cornelia Hess-Honegger im Umfeld von Atomanlagen gesammelt und archiviert hat. Sie mögen sich 20 Jahre später mit diesen Beiträgen vorkommen wie Rufer in der Wüste, und dass ihre Arbeiten auch nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben, ja eher sogar, nach den jüngsten Zugeständnissen an die Atomindustrie, gewonnen haben, macht sie umso bitterer.

Von daher ist auch die melancholische Ironie verständlich, wie sie sich zum Beispiel in den fotografischen Arbeiten von Illka Halso (aus Finnland) niederschlägt: Digital entwirft sie ein „Museum of Nature“, in dem gigantische gläserne Gewölbe einen mäandernden Flusslauf schützen: schön wie die botanischen Gewächshäuser der Gegenwart und erschreckend in der Vorstellung, dass nur so noch zu bewahren ist, was man gerne als das Selbstverständliche, frei Zugängliche behalten will.

Manches in der Ausstellung erscheint zunächst als gut gemeinter Symbolkitsch, etwa das „Opfermonument“ der brasilianischen Künstlerin Néle Azevedo, die kleine Figuren aus Eis auf öffentlichen Plätzen langsam dahinschmelzen lässt. Ähnliche Orte im öffentlichen Raum sucht auch Hermann Josef Hack, um dort sein Lager aus Miniaturzelten aufzustellen, das auf die wachsende Anzahl von Klimaflüchtlingen verweist. Doch sich mobil und allgemeinverständlich dorthin zu begeben, wo man nicht mit ihnen rechnet und sie ein größeres als das Kunstpublikum erreichen, ist diesen Aktivisten eben wichtiger.

■ „zur nachahmung empfohlen“, Uferhallen Berlin, bis 10. Oktober, Katalog plus Lesebuch, Hatje Cantz Verlag, 48 Euro