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Archiv-Artikel

„Leistungsbereit und diszipliniert“

Psychische Krankheiten sind schichtabhängig, sagt der Jugendpsychologe Michael Schulte-Markwort

Michael Schulte-Markwort

■ 54, leitet die Klinik für Kinder- und Jugendpsychosomatik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Er ist Mitautor der Studie zur „Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland“ (KiGGs) des Robert-Koch-Instituts und tourt mit der „Elternschule“ durch Schulen.

taz: Herr Schulte-Markwort, laut Shell-Studie sind Jugendliche optimistisch wie nie. Sie aber haben herausgefunden, dass psychische Probleme infolge von Leistungsdruck wachsen. Wie passt das zusammen?

Michael Schulte-Markwort: Psychische Erkrankungen haben nicht automatisch etwas damit zu tun, ob jemand optimistisch oder pessimistisch ist. Im Übrigen stimmen die Ergebnisse überein: Auch in unserer Studie zeigt sich, dass psychische Krankheiten bei Kindern und Jugendlichen schichtabhängig sind. Die Häufigkeit halbiert sich von der niedrigsten zur obersten sozialen Schicht. Dagegen nehmen körperliche und psychische Erkrankungen in unteren Schichten zu. Die Schere öffnet sich.

Was belastet Jugendliche aus unteren Schichten besonders?

Die Armut nimmt zu. Das ist ein ganz anderer Druck als der, den etwa eine Abiturientin aushalten muss. Ganze Familien sind von Perspektivlosigkeit betroffen. Die Kinder wachsen in einer Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit auf. Gepaart mit Leistungsdruck kann das zu Depressionen führen.

Jugendliche auf der Sonnenseite können mit Stress offenbar gut umgehen, trotz Turbo-Abi und prekärer Praktika.

Das ist auch mein klinischer Eindruck. Ich finde, dass Jugendliche heute unheimlich leistungsbereit, diszipliniert und reflektiert sind. Das kann allerdings auch ins Gegenteil umschlagen. Dann habe ich mit Jugendlichen zu tun, die so perfektionistisch sind, dass sie kurz vor dem Abitur einen Burn-out haben.

Nimmt das zu?

Den Begriff „Burn-out“ gab es für Jugendliche bisher nicht. Aber das ist eine kleine Gruppe. 80 Prozent der Jugendlichen sind einfach nur toll.

Dennoch ist der Berufseinstieg heute schwieriger. Können Jugendliche auch mit Niederlagen umgehen?

Ja, die Jugendlichen fangen heute viel früher an, sich zu überlegen, mit welcher Lernstrategie sie welche Abiturnote erreichen, um dann die gewünschte Richtung einzuschlagen. Oft wirft man ihnen genau das vor: Sie seien zu strategisch. Das ist doch aber nur die logische Folge der heutigen Lebensbedingungen.

Muss man sich also eher um die besorgten Eltern der Kinder kümmern?

Unbedingt. Deshalb haben wir am Universitätsklinikum eine Elternschule gegründet. Wir halten Vorträge zu Themen wie Pubertät und Mobbing. Im Wesentlichen beruhige ich Eltern.

INTERVIEW: ANNA LEHMANN