Ende der Geruhsamkeit

Heute Abend moderiert Ulrich Wickert zum letzten Mal die „Tagesthemen“ (ARD, 22.15 Uhr). Diesen Mann musste man einfach gerne sehen? Nun ja: Nicht wenige haben ihn gehasst

VON STEFAN KUZMANY

Wie werden wir ab morgen noch einschlafen können? Wer wird uns in Zukunft „eine gerrruhsame Nacht“ wünschen? Niemand? Jedenfalls nicht mehr Ulrich „Uli“ Wickert. Und nicht wenige finden: Das ist gut so.

Um es gleich vorwegzunehmen: Der Autor dieser Zeilen gehört nicht zu den Wickert-Hassern. Und fühlt sich nach der Betrachtung der gestrigen Abschieds-Doku („Adieu, Mr. Tagesthemen“, ARD) durchaus bestätigt. Wickert hat uns nicht nur verlässlich aufs Angenehmste zu Bett geschickt, er war auch, wie man gestern nochmal betrachten konnte, ein (in chronologischer Reihenfolge) sympathischer Langhaariger, einfühlsamer USA-Sozialreporter und todesmutiger Frankreich-Korrespondent. Tatsächlich wird wohl, wie von Wickert befürchtet, die Überquerung einer mehrspurigen Straße in Paris als seine größte journalistische Leistung in die Geschichte eingehen. Aber auch die Befragung des taz-Lesern nicht ganz unbekannten damaligen Vorsitzenden der maoistischen KPD, Christian Semler, durch den jungen TV-Journalisten W. ist Legende. Weil Semler recht theoretisch und den Zuschauern möglicherweise unverständlich auf die Frage nach Gewaltanwendung antwortete, ließ Wickert dessen Antworten nachträglich untertiteln („Das Bekenntnis zur Gewalt“) – damit auch der Letzte merkt, wie gefährlich dieser Semler und seine Partei sind. Das war schon 1973 komisch, heute ist es richtig zum Lachen.

Damals wohl noch unfreiwillig lustig, hat Wickert später als Korrespondent und auch in den Tagesthemen bewusst auf eine augenzwinkernde, nicht immer ganz ernst gemeinte Präsentation der Nachrichten gesetzt. Das kann man mögen. Man kann es aber auch verabscheuen.

So erntet man dieser Tage mit dem Satz „Schade, dass Wickert aufhört“ entweder Zustimmung – oder Kopfschütteln, Unverständnis und Ablehnung. Völlig unpassend sei das ständige Gegrinse gewesen. Gleich nach den schlimmsten Nachrichten aus dem Irak lächelnd ein Bonmot vorzutragen – ekelhaft. Dieses großbürgerliche wie großkotzige Diplomatensöhnchen, schon ein wenig links, aber dann eben doch (bzw. folgerichtig) Käse- und Weinexperte, Lieblingsbuch „Simplicissimus“, dreimal verheiratet, Zweitwohnsitz Frankreich. Hat mal gekifft, ist ja ein Ding. Jetzt schreibt er auch noch Kriminalromane. Und überhaupt, wenn man sich ansieht, mit welchen Typen der sich umgibt, wer ihn lobt, das sagt doch schon alles: Stefan Aust! Hellmuth Karasek!! Günter Grass!!!

Das gibt allerdings zu denken.

Auch wird oft angeführt, Ulrich Wickert sei so ziemlich der schlechteste Moderator im deutschen Fernsehen gewesen. Während jetzt allenthalben seine harte und extrem kurze Fragetechnik Politikern gegenüber gerühmt wird, verweisen die Wickert-Gegner auf seine handwerklichen Defizite: Wickert habe sich so oft versprochen wie sonst niemand, man habe manchmal den Eindruck gehabt, der Mann sei betrunken oder debil oder beides. Zudem habe man häufig gar nicht entscheiden können, ob seine Sätze grammatikalisch korrekt formuliert und ohne Versprecher über den Sender liefen – denn Ulrich Wickert habe genuschelt, gezischelt, Wörter verschluckt, dass es ein Graus war. So einen würden sie doch heute nicht mal mehr als Praktikanten bei NeunLive einstellen!

Nein, diesen Argumenten wollen wir uns schon deshalb nicht anschließen, weil ihn die Bild wegen angeblicher Versprecher einige Zeit auf dem Kieker hatte. Es ist doch so: Bei Wickert hatte man immer das Gefühl, dass er eigentlich auf der richtigen Seite steht. Auch wenn er das als „Tagesthemen“-Moderator nicht offen zeigen konnte. Auch wenn er im Mai 2005 der taz gegenüber bestritt, seine politische Gesinnung demonstriert zu haben, als er am Abend des zweiten TV-Duells zwischen Jürgen Rüttgers (CDU) und Peer Steinbrück (SPD) eine auffällig gestreifte rot-grüne Krawatte trug: „Die Farben meiner Krawatte hatten wirklich absolut keine Bedeutung.“ Hey, Wickert, jetzt kannst du’s doch zugeben.

Die Wickert-Hasser sind froh, dass er jetzt aufhört und nur noch in der Literaturnische moderiert. Sollen sie froh sein. Und der Rest? Vielleicht sollten wir Wickert-Sympathisanten uns klar machen, dass unser Uli, anders als die Fülle von nachrufartigen Texten und „letzten“ Interviews uns glauben machen könnte, keineswegs todkrank oder gar bereits verstorben ist.

Und nicht verzagen. Denn eine Konstante bleibt uns immerhin noch. Einer bleibt, der uns weiterhin mit einem Lächeln auf den Lippen den Fernsehabend beenden lassen wird. Oder hört der Yello-Strom-Frosch etwa auch bald auf?