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Archiv-Artikel

Einbruch in die CDU-Bastion

taz-Serie „Bezirkssache“ (Teil 8): Die Klischees über Steglitz-Zehlendorf verschwinden langsam. Weder ist der Bezirk alleiniger Hort der Reichen noch eine uneinnehmbare Hochburg der CDU. Davon könnte die SPD profitieren – und erstmals seit langem im Südwesten den Bürgermeister stellen

Mit Äußerungen zum 8. Mai hatte CDU-Bürgermeister Weber Proteste ausgelöst

von Stefan Alberti

Er hätte es in der Hand gehabt. Hätte dem Ganzen etwas Witz geben können. Denn Uwe Stäglin, der für die SPD Bürgermeister von Steglitz-Zehlendorf werden soll, hat eine auffallend markante Nase. Wie nahe hätte es gelegen, damit in die Offensive zu gehen. „Nase vorn mit Stäglin“ oder Ähnliches hätte der 35-Jährige, derzeit Baustadtrat des Bezirks, unter seine Wahlwerbung schreiben können. Für Witz hätte das gestanden, für Selbstironie. Tatsächlich aber zeigen seine Plakaten bloß seinen Namen, dass er Chef im Bezirksamt werden will – und sonst nichts. Und so sind diese Wochen vor dem 17. September in Steglitz-Zehlendorf eine dröge Zeit, die den Namen Wahlkampf nicht verdient.

Zwar fahren die Parteien auch hier Bundesprominenz auf, vor allem die SPD. Am Montag war Umweltminister Sigmar Gabriel angesagt, nächste Woche soll Außenminister Frank-Walter Steinmeier beim Zehlendorfer Sommerfest auflaufen. Doch die Stimmung an der Schloßstraße und am Teltower Damm, den Einkaufsmeilen in Steglitz und Zehlendorf, ist nicht wirklich geprägt von hitzigen Debatten, diskussionsfreudigen Jusos oder Jungunionisten mit Wahlmaterial an jeder dritten Laterne.

Dabei könnte es eine knappe Angelegenheit werden in dem Bezirk, den so oft das Etikett „bürgerlich“ begleitet, der aus dem Bauch heraus meist komplett der Union zugeordnet wird und der doch bis 2005 sieben Jahre lang direkt von der SPD im Bundestag vertreten wurde. Spätestens seit dem landesweiten CDU-Fiasko 2001 sind die Konturen schwammiger: Selbst mit Hilfe der FDP verfügt die Union nur über eine einzige Stimme Mehrheit im örtlichen Parlament, der Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Seither hat dort auch die PDS einen Sitz – zum ersten Mal–, und das in einem Bezirk, in dem, wenn einer von Marzahn spricht, gerne „hinter dem Ural“ verstanden wird.

Vorbei sind die absoluten CDU-Mehrheiten früherer Jahre. Prognosen sehen die Union dieses Mal berlinweit noch schlechter abschneiden als 2001. Die SPD dürfte hingegen zulegen, wovon auch die Genossen in Steglitz-Zehlendorf mit Spitzenmann Stäglin profitieren könnten. Keine vier Prozentpunkte trennten hier 2001 die beiden Parteien.

Doch dass die Genossen hier gewinnen könnten, liegt weniger an der SPD selbst, sondern mit am bisherigen Spitzenmann der CDU im Bezirksamt: Herbert Weber ist seit 14 Jahren Bürgermeister, erst in Steglitz, nach der Bezirksfusion auch in Zehlendorf. Der 57-Jährige brachte den Bezirk 2005 gleich mehrfach landesweit in die Schlagzeilen. Erst wollte Weber am 8. Mai, 60 Jahre nach Kriegsende, nicht nur der Opfer des Nationalsozialismus gedenken, sondern auch des von der Roten Armee an der Zivilbevölkerung verursachten Leids. Diese Kopplung rief massive Proteste hervor, von Opferverbänden bis zur Jüdischen Gemeinde. Selbst das Abgeordnetenhaus diskutierte in einer Aktuellen Stunde über den Steglitz-Zehlendorfer Umgang mit dem 8. Mai.

Wenig später wurde bekannt, dass sich Weber schon zum Volkstrauertag 2004 abwertend über Wehrmachtsdeserteure geäußert hatte. In seiner damaligen Rede fiel zudem die Bemerkung von einer „Fokussierung auf Auschwitz als Erinnerungsreligion“. Landespolitiker von SPD, Linkspartei und Grüne forderten den Bürgermeister daraufhin zum Rücktritt auf. Die Union und ihr Koalitionspartner FDP hingegen stützten Weber im Bezirksparlament: Ein Abwählantrag von SPD und Grünen bekam zwar eine Mehrheit, aber nicht die erforderlichen zwei Drittel.

Auch danach hielt Weber den Ball nicht flach und ließ die Wahlperiode ruhig ausklingen. Vielmehr wollte er Direktkandidat der CDU für die Bundestagswahl 2005 werden. Damit hatte er dann aber doch den Bogen überspannt. Mehrere Parteioberen stoppten ihn – „eine Nominierung Webers wäre ein unmögliches Zeichen“, wurde ein ranghoher Funktionär zitiert. Als Direktkandidat holte Karl-Georg Wellmann den Wahlkreis für die CDU zurück.

Dass die Union in Steglitz und Zehlendorf überhaupt zu Zeiten sonst drückender Dominanz zweimal hintereinander Direktwahlen zum Bundestag hatte verlieren können, ist eine Geschichte für sich. Sie hängt mit der Zerrissenheit der Union, lang und intensiv gepflegten Feindschaften und einem Mann zusammen, der auch jetzt wieder auf Wahlplakaten zu sehen ist. Uwe Lehmann-Brauns, streitbarer Rechtsanwalt und langjähriger Landespolitiker, kandidiert für das Abgeordnetenhaus. Er vergeigte 1998 den Riesenvorsprung von fast 15 Prozentpunkten, den sein Vorgänger herausgeholt hatte. 2002 scheiterte er erneut. Sein eigener Kreisverband hätte ihn fast noch kurz vor der Wahl abgesägt.

Derartige Grabenkämpfe prägten über Jahre die CDU im Südwesten, vor allem in Dahlem, einem der größten CDU-Ortsverbände östlich der Elbe. Das ging so weit, dass sogar überregional das Image der Partei beschädigt wurde: Der Berliner Landesverband, das sind doch die mit den ewigen Querelen, hieß es. Das Gezerre beschäftigte nicht bloß Parteimitglieder und Gremien, sondern auch ordentliche Gerichte. Es hätte weitreichende Folgen haben können: 2003 drohte eine Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl von 2001, nach einer Klage wegen angeblichen Ausbootens bei der CDU-Kandidatenaufstellung. Der Termin für die Neuwahl stand schon fest, als das Berliner Verfassungsgericht den Antrag als unbegründet zurückwies.

Über all diesen Querelen um die CDU und Noch-Bürgermeister Weber geht schnell unter, dass der Bezirk auch reelle Probleme hat. Eines ist der Steglitzer Kreisel, jenes monströse, die Silhouette des Südwestens prägende Bürohochhaus. Auch dies ist eine Geschichte jahrelangen Hickhacks: Asbestverseucht ist der Bau, eine Sanierung kostet vermutlich bis zu 90 Millionen Euro. Die genaue Zukunft des Kreisels – Umbau und Verkauf? Oder doch auch Abriss? – bleibt offen, auch nachdem der Senat Ende Juni beschloss, dass die Bezirksverwaltung aus dem Turm auszieht und der Bau asbestsaniert wird.

Ob SPD-Mann Stäglin das alles auch ohne flotten Werbespruch aus dem Bürgermeistersessel begleiten wird, bleibt offen. Sicher ist bloß: Noch-Amtsinhaber Weber wird es nicht sein. Die CDU hat an seiner Stelle ihren bisherigen Fraktionschef Norbert Kopp zum Spitzenkandidaten gemacht.