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Archiv-Artikel

Krönung der Cafémania

POPKULTUR Oh Pathos! Der Barista ist der neue Held des Kaffeehandwerks

Kaffee in Zahlen

■  Einfach: 1866 erfand der Hamburger Kaufmann Johann Joachim Darboven den Instantkaffee – er röstete die Bohnen und verpackte sie in Tüten.

■  Teuer: Bis zu 150 Euro pro Kilo kostet der „Jamaica Blue Mointain“. Der Bergnebel in der Region lässt die Kaffeepflanzen langsamer wachsen – dadurch bekommen die Bohnen ein feines Aroma.

■  Fair: Kaffee war Anfang der 70er Jahre das erste fair gehandelte Lebensmittel. 1,3 Prozent des deutschen Kaffes wird mit dem „Fairtrade“-Siegel gehandelt.

AUS ANSBACH UND NEW YORK TOBIAS FELD

Wenn Tom Schweiger geschäumte Milch und die perfekte Caffè Crema beschreibt, meint man, er spräche über ein Gemälde: „Gleich goldschimmernder Seide solle die Oberfläche sein“, schwärmt Schweiger, „erhaben und feinporig zugleich.“

Schweiger ist deutscher Baristameister – und begehrt. Gerade erst kommt er aus Gran Canaria, wo er ein Seminar über die hohe Kunst des Kaffeekredenzens abgehalten hat. Jetzt, zur Mittagszeit, dient er wieder der Laufkundschaft seiner Espressobar im fränkischen Ansbach. Efeubewachsen liegt sie ein wenig versteckt zwischen dem Fränkischen Rezat, einem Flüsschen, und einer urigen Gaststätte.

„Klassisch oder eher fruchtig?“, fragt der den Kunden. – „Fruchtig, der Herr.“ Ein paar geübte Handgriffe, heißes Wasser wird durch einen schlichten zylindrischen Kolben gepresst, fertig ist der Filterkaffee. Filterkaffee? Besser könne es eine sündhaft teure Maschine auch nicht, meint Schweiger. Der Raum füllt sich mit zartem, koffeinlastigem Aprikosenduft, die Gäste ringsum heben die Nasen. Schwarz sei er am besten zu verkosten, sagt der Barista und reicht den Kaffee.

Seine Ansbacher indes bleiben in der Mehrzahl beim klassischen Cappuccino. Doch Vorsicht! „Bei Temperaturen über 62 Grad verliert Milch ihre Buttercreme“, mahnt Schweiger. Ganz in Ruhe gießt er cremigen Milchschaum auf den dampfenden Espresso, bis das nächste Meisterwerk wie ein vielschichtiger Monolith im Glas schimmert.

Kaffeekochen als Kunsthandwerk: „Ein Barista macht den Unterschied zwischen einem einfachen Kaffee und einem Schlückchen aus dem Schlaraffenland“, schreibt der Sydney Morning Herald. Die besten Baristi der Welt kommen aus Australien. Schon in den 1990er Jahren entwickelte sich dort eine kleine, aber virulente Szene, die sich bald von der Westküste der Vereinigten Staaten bis nach Skandinavien ausbreitete – und nun auch im Herzen Europas die Gaumen der Feinschmecker wärmt. Dabei geht es aber um mehr als Genuss und Raffinesse. „Plötzlich“, sagt Schweiger, „stellen Baristi, die bei 6 Euro Stundenlohn immerzu klein gehalten wurden, nicht nur Röstereien und Rohkaffeehändlern kritische Fragen, sondern auch deren Dominanz infrage“. Es duftet nach Revolution in der Kaffeebranche.

Der Kaffeekoch als Popstar

Zum Repertoire der Kundenverführung zählt dabei nicht mehr nur allein der gute Geschmack, auch anachronistische Stilfragen werden bedient. Wer etwa einen Coffeeshop in der 20 West 29th Street am New Yorker Broadway betritt, fühlt sich in die fünfziger Jahre versetzt. Der Barista trägt dort zum glatt gebügelten Hemd geschmackvolle Hosenträger und Schiebermütze. Ein „Willkommen bei Stumptown Coffee Roasters, Sir“ gehört dort ebenso zum guten Ton wie frisch gerösteter Biokaffee, den man ausnahmslos direkt beim Kaffeebauern bezieht. „Einige Sekunden“, sagt einer dieser Baristi voll Pathos, „entscheiden über Gedeih und Verderben. Es ist so ein fragiler und zugleich brutaler Vorgang, bei dem etwa 90 Grad heißes Wasser unter Druck die Essenz herauspresst – und der die Arbeit von Monaten zerstört oder krönt.“

Schon fragt sich angesichts derlei Budenzaubers die Presse: „Ist der Barista nicht längst der neue Rockstar?“ Antwort findet man etwa im Café Grumpy, ein paar New Yorker Häuserzeilen weiter. Seine Hausröstungen finden sich weltweit. Angekündigt wie Musiker auf Konzerten – „Special Guest: Espresso from New York“ –, werden sie oft nur an einem Abend verkostet. Die Tickets dazu sind limitiert. Der Barista der Rösterei kommt oft gleich mit dazu. Ein Blogger, der einem dieser Spektakel beiwohnte, wird später „diese Rocker sind glückliche Dandys“ schreiben. „Es sind Zutaten, Requisite und Technik“, wagt sich Gregory Dicum. Autor von „The Coffee Book“, an eine Erklärung des neuen Kaffeekults. „Es ist aber auch schlicht die Ausstrahlung der Baristi, die Handwerk und Kunst vereinen“. Schon hat das Pitchfork Music Festival in Chicago neben Bands wie Broken Social Scene, Modest Mouse oder The Jon Spencer Blues Explosion auch die weltbesten Baristi eingeladen, und zwar nicht zum Kaffeekochen, sondern zum Auftreten.

Die Creme der Baristi wird sich Anfang Oktober in Peru treffen. Mit dabei wird neben Weltmeister Michael Phillips aus den USA und Vize Raul Rodas aus Guatemala auch der Ansbacher Tom Schweiger sein, der Halbfinalist der diesjährigen World Barista Championships. „Wir kommen, um zu lernen“, sagt Schweiger in aller Bescheidenheit. Mit dem Spitzenbarista und dem Kaffeebauern kämen so auch zwei Kaffeekulturen miteinander in Berührung, die bis jetzt weithin nur ein System der Ausbeutung teilten.

Denkt man an die Baristakultur, so kommt anstelle des Rockstars vielmehr ihr Pendant in den Sinn: die Mods der frühen 1960er Jahre, jene britischen Individualisten mit Hang zur italienischen Lebenskultur, die sich über ihre kostspieligen stilistischen Eigenkreationen vom konservativen Milieu abzugrenzen versuchten. Auch sie wollten das System mitprägen, sich einen Raum schaffen, in dem sie ihre Vorlieben, ihre Codes und ihre Ästhetik ausleben konnten. Und ihre beste Waffe war – und das vereint sie mit den Baristi – ihr guter Geschmack.