Körperwelten, so sexy

KUNST Ziemlich unverblümt, schön bunt und voller Leidenschaft – die Berlinische Galerie zeigt in einer großen Schau die Bilder der Wahlberlinerin Dorothy Iannone

■ „This Sweetness Outside of Time“ ist der Titel der Ausstellung mit Gemälden, Objekten und Büchern von Dorothy Iannone, die 1976 für ein Stipendium des Berliner Künstlerprogramms des DAAD nach Berlin kam und seither hier in der Stadt lebt.

■ Zu sehen ist die Schau in der Berlinischen Galerie, Alte Jakobstraße 124–128, bis 2. Juni, Mittwoch bis Montag 10–18 Uhr. Im Rahmenprogramm zur Ausstellung sind in einer Filmreihe „Große Liebespaare“ zu sehen, und am 28. April gibt es eine Lesung erotischer Gedichte mit Eva Mattes. Information: www.berlinischegalerie.de

VON ANNABELLE HIRSCH

Das erste und vorerst einzige, was Dieter Roth von Dorothy Iannone zu sehen bekam als mögliche sexuelle Stimulanz, war ihr Po. Danach verschwand sie gleich wieder für einige Tage aus seinem Leben. Denn bevor sie sich ganz ausziehen konnte, musste die Künstlerin noch etwas erledigen. Wer beim Anblick von Iannones bunten, hypersexualisierten, mit geschwollenen Vaginas, locker herumhängenden Penissen und allen erdenklichen Penetrationsmöglichkeiten prahlenden Bildern dachte, diese Frau sei eine gedankenlose Orgienmaus, der irrt. Verwirrungen, Lügen und emotionales Durcheinander scheinen nicht die Triebkräfte der Leidenschaft, ihrer Leidenschaft, dem zentralen Thema ihres Werks. Die Amerikanerin mag es in ihrem Leben letztlich gesittet. Klar, transparent und bewusst. So stieg sie nach dieser ersten und eher zögerlichen Annäherung mit Roth (der den dargebotenen Po noch nicht einmal berühren durfte), brav mit ihrem damaligen Mann ins Flugzeug zurück nach New York, nur um ihm dort beizubringen, dass sie sich in Dieter Roth verliebt hätte und mit dem nächsten Flug nach Reykjavik zu ihm zurückkehren werde. Das tat Dorothy Iannone dann auch und beendete damit vollkommen dramenfrei eine zehnjährige Ehe mit ihrem Angetrauten.

Dies alles erfährt man im dritten Raum der großen Dorothy-Iannone-Retrospektive in der Berlinischen Galerie. Mit der illustrierten Erzählung „An Iceland Saga“ faltet die mittlerweile achtzigjährige Wahlberlinerin die Geschichte ihrer Begegnung mit dem Fluxus-Künstler Dieter Roth Ende der sechziger Jahre großzügig über eine ganze Wand aus. Das ist nicht nur unterhaltsam zu lesen, sondern auch der Schlüssel zu all den darauf folgenden Werken.

Vorher abstrakt, nun direkt

Denn ab Reykjavik ändert sich alles. Wo ihre Arbeiten aus den frühen sechziger Jahren weitgehend abstrakt bleiben und vor allem wie der Versuch wirken, die Eindrücke ihrer vielen Reisen irgendwie in einem Bild zu vereinen, scheint Iannone durch die Beziehung zu Roth zu sich selbst und damit auch zu ihrer künstlerischen Stimme zu finden. Auf einmal geht es in ihrer Kunst nur noch um das, was sie wirklich interessiert: die Liebe und die Leidenschaft, und am Rande auch die Frage, wie sich beide bedingen.

Ihre Bilder werden zur Dokumentation dieser wachsenden Lust an der Ekstase. Die „Dialogues“ etwa, kleine Künstlerbücher, die sie zeichnet, um Roth zu zeigen, wie glücklich sie mit ihm ist, erzählen auf intime und über den ganzen Kamasutra-Sex hinaus sehr rührende Weise vom Zusammenleben der beiden Künstler. Am Ende dauerte ihre Liebe nur sieben Jahre (man meint, es müssten mehr gewesen sein) – der autobiografische Grundton, der viele Sex, die bunten Farben, die einfache, man muss es schon so sagen, naive Malweise bleiben. Bis heute.

Nach der Trennung von Roth liiert sich Iannone mit einem dänischen Pastor, begeistert sich für den tibetanischen Buddhismus und die Tantra-Tradition und verfolgt weiter ruhelos ihr Leitthema: die ekstatische Vereinigung zweier Menschen, Seelen, Körper.

Die Männer, die Musen

Nun kann einen am Ende des Rundgangs in der Berlinischen Galerie das Gefühl beschleichen, dass man hier eine Künstlerin sieht, die durch die offensive Darstellung der eigenen Sexualität eine vermeintliche Freiheit zur Schau trägt, im Grunde aber ihre ganze schöpferische Kraft von ihrem männlichen Gegenüber abhängig gemacht hat. Das stimmt in gewisser Weise natürlich auch. Männer spielen in Iannones Lebens- und Schaffensgeschichte zwangsläufig eine große Rolle. Nur erfüllen sie darin eine Funktion, die in der Kunstgeschichte bisher meist die Frauen einnehmen mussten: Männer sind ihre Musen.

In einem schönen Interview zwischen Dorothy Iannone und ihrem Freund Maurizio Cattelan fragt der sie irgendwann dann auch, ob sie denn glaube, Dieter Roth ebenfalls inspiriert zu haben. Iannone antwortet darauf so großzügig und demütig, wie es wahrscheinlich nur eine unabhängige, zu großer Liebe und Leidenschaft fähige Frau tun kann: „Wenn ich meiner Muse auf irgendeine Weise Inspiration war, dann fühle ich mich geehrt.“