Das L. A. Heimatschutz Massaker

Spaß an Terror und Katastrophen – ist das erlaubt? Na klar, meint der Spieldesigner American McGee. In seinem neuen Adventure-Game „Bad Day LA“ schickt er einen schwarzen obdachlosen Outlaw auf Rettungsmission – und persifliert damit nicht nur den US-Heimatschutz und Antiterrorkampf

VON DIETER GRÖNLING

Anthony Williams hat schon bessere Tage erlebt. Sein privilegiertes Leben als erfolgreicher Hollywood-Agent hat er längst hinter sich gelassen. Seit er auch noch seine Wohnung verloren hat, ist jegliche Achtung vor sich selbst und seinen Mitmenschen vollends verschwunden. Er möchte einfach nur in Ruhe gelassen werden. Bislang wurde ihm dieser Wunsch erfüllt, doch an diesem Tag wird sich alles ändern.

Terror mit Biowaffen

Es beginnt schon am Morgen, als er einen prallgefüllten Einkaufswagen quer über den hoffnungslos verstopften Santa Monica Freeway durch die Autoschlangen schiebt. Einige Autofahrer sind genervt, hupen, versuchen ihn zu verscheuchen. Just in dem Augenblick, in dem Anthony ein heftiges Rumpeln in der Darmgegend verspürt und er sich mitten auf dem Freeway erleichtern will, stürzt ein Flugzeug auf die Autobahn. An Bord befinden sich große Mengen eines geheimen chemischen Kampfstoffs, eine Art Biowunderwaffe. Offenbar wurde genau deshalb die Maschine von Terroristen gekapert, denn die tragen Gasmasken.

Durch den Absturz kann das grüne Biogas in die Umgebung entweichen. Die Menschen flüchten in panischer Angst, doch das Kampfgas verwandelt einige in böse Zombies. Sie laufen durch die Straßen, greifen friedliche Menschen an. Mittendrin der obdachlose schwarze Anthony, Spielfigur und Antiheld. Jetzt soll er die Stadt L. A. vor dem Untergang retten.

Leider ist das keineswegs sein Plan. Er will nichts weiter als dem Schlamassel selbst mit heiler Haut entkommen. Der Spieler, der – anders als bei Ego-Shootern – Anthony über die Schulter schaut und das Geschehen auch aus jeder anderen Perspektive betrachten und steuern kann, wird sich anfangs nicht für Leute interessieren, die verletzt am Boden liegen oder anderweitig um Hilfe bitten. Doch sehr schnell wir klar, dass Anthonys Entkommen unmittelbar mit dem Überleben dieser Leute zusammenhängt. Das Erste, was er findet, ist Verbandszeug, eine Brechstange und ein Feuerlöscher. Später kommt mehr hinzu – unter anderem eine Schrotflinte und noch weitaus wirksamere Waffen, mit denen sich allerlei Unbill vom Hals halten lässt.

Erfinder und Chefentwickler American McGee, der wirklich so heißt, weil, wie er sagt, seine Mutter ein Hippie war und Hasch rauchte, ist längst durch Spiele wie Doom, Quake oder Alice zu einem der ganz Großen der Branche geworden. Er nennt die Spielidee „Chaos Management“: Je tiefer die Spielfigur Anthony in das Geschehen verstrickt ist, umso schlimmer wird es – und dem zu entrinnen wird nahezu aussichtslos. Dennoch wird dem Antihelden schnell klar, dass er den Menschen in dieser Notsituation einfach helfen muss – sonst gehen er selbst und andere dabei drauf.

Im Verlauf der Katastrophe gesellen sich weitere Figuren zu Anthony – NPCs (non-player character = Charaktere, die nicht vom Spieler geführt werden). Die entwickeln ein skurriles Eigenleben: ein Junge, der ständig grün kotzt und deshalb dringend ins Krankenhaus muss; Juan, ein Mexikaner mit Kettensäge und übermäßigem Aktionsdrang; eine Beverly-Hills-Schnatze à la Paris Hilton und „The Sarge“, ein Army-Sergeant, dem plötzlich der Unterarm fehlt, der aber dennoch permanent mit Originalzitaten des US-Präsidenten George W. Bush um sich wirft.

South Park mit Tarantino

Das alles erinnert an einige großartige Zombie-, Splatter-, Amok-, Martial-Arts- und Katastrophenfilme wie „The Day After Tomorrow“, „Falling Down“ (mit Michael Douglas) und auch an „The Texas Chainsaw Massacre“. Von South Park bis Quentin Tarantino – dieses Spiel ist eine Parodie auf einfach alles, worin sich das wirklich gute Hollywood vom deutschen und europäischen Langweilerkino unterscheidet.

Ein blutrünstiges Horrorspektakel ist „Bad Day LA“ dennoch nicht. Im Gegensatz zu den wegen allzu realistischer Gewaltdarstellung heftig kritisierten Shootern wie „Counter Strike“ kommt das Spiel als knallbunter und äußerst humorvoller Comic daher. Die Geschichte ist jedoch durchaus politisch: American McGee parodiert die überzogenen Sicherheitsmaßnahmen der Regierung Bush und des Department of Homeland Security (Ministerium für Heimatschutz). Spätestens beim Level im Flughafen, in dem ein Fingernagelknipser eine wichtige Rolle spielt, sollte auch dem letzten Gamer klar werden, dass es um etwas völlig anderes geht als um die Verteidigung von Freiheit und Demokratie. Von Ultrakonservativen wird American McGee dafür heftig kritisiert und beschimpft, wie in seinem Blog zu lesen ist.

Den Spaß mit den Franzosen verstehen indes nur Eingeweihte: Im zweiten Level geht es darum, den grün kotzenden Jungen mit einem Ambulanzwagen ins Krankenhaus zu bringen. Die Straßen wimmeln von wild um sich ballernden Terroristen, einige Jeeps nehmen die Verfolgung auf. Anthonys Aufgabe besteht darin, dem Krankenwagen die Terroristen während der rasanten Fahrt mit einem Maschinengewehr vom Hals zu halten. Die Terroristen entpuppen sich bei genauerem Hinsehen als Angehörige der Armee – und zwar der französischen. Hintergrund: Als in der von der Bush-Regierung angezettelten Irak-Hysterie die Franzosen als Erste den Beistand verweigerten, wurden die in den USA „French Fries“ genannten Pommes kurzerhand in „Freedom Fries“ umbenannt.

„Bad Day LA“ hält seinen schwarzen Humor, die mitunter unerwartet auftauchenden makabren Wendungen und witzigen Aufgaben bis zum Ende durch. Die Terroristen mit dem abgestürzten Flugzeug und die Zombies sind längst nicht das einzige Unheil an diesem Tag. Erdbeben lassen die Erde erzittern, herabregnende Meteoriten tiefe Krater reißen, Tsunamis die Straßen überfluten, und noch mehr Katastrophen suchen die Stadt und ihre Bewohner heim.

Gewalt in Notsituationen

Die kürzlich von Matthias Horx, dem Hofastrologen der Medien, und Manfred Spitzer, Leiter der psychiatrischen Uniklinik Ulm, neu angezettelte Diskussion über Gewalt in Computerspielen erhält durch „Bad Day LA“ einen völlig neuen Aspekt: Darf Gewalt angewandt werden, wenn es sich um eine absolute Notsituation handelt und es keine andere Möglichkeit gibt?

Das ist wie früher für die Kriegsdienstverweigerer bei der mündlichen Verhandlung im Kreiswehrersatzamt. In dieser Woche sind 183.000 Besucher aus 38 Ländern zur Games Convention nach Leipzig (läuft noch bis morgen) gepilgert, um sich 200 neue Computerspiele anzuschauen. Darunter viele Spiele, für die immer noch die allererste Regel gilt: If it moves, shoot it!