: Beschlipste und Raver
Die Sorgen der Musikfest-Macher waren unbegründet: Von der Vision Parade war am Samstag in der Innenstadt nichts zu merken. Nur vereinzelte Techno-Kids hatten sich auf den Marktplatz verlaufen
Die Feuerakrobaten hat niemand bestellt. Sie nutzen den Auftakt des Musikfestes am Samstag Abend für ihre Straßenkunst. Inmitten der Menschenmenge auf dem Marktplatz zeigen sie ihr Können und bieten damit auch denen etwas, die sich den Eintritt in die Konzerte nicht leisten können oder wollen. So stehen Beschlipste auf dem Weg ins nächste Konzert neben bunt gekleideten Teenagern und staunen, letztere haben sich offenbar von der zeitgleich stattfindenden Vision Parade in die Innenstadt verlaufen. Dass sich die Raver vom Techno-Umzug am Osterdeich unter das Konzertpublikum mischen, war die Horrorvorstellung der Musikfest-Organisatoren und ihrer Gönner in den Behörden gewesen – weswegen sie sich im Vorfeld bemüht hatten, die Vision Parade auf einen anderen Termin oder nach Gröpelingen zu verlegen. Vor Gericht hätte ein solches Verbot allerdings keinen Bestand gehabt, die elf Lastwagen mit Techno-Beschallung durften um 16 Uhr am Weserstadion stadtauswärts starten. Mit Straßenbahnen, so die Auflage, sollten sie direkt vom Schlusspunkt, dem Hansa-Carré am Ende der Linie 3, zur Party im Pier Zwei in Gröpelingen gekarrt werden. Doch einige wenige ließen sich von der Hochkultur-Szenerie zwischen Dom und Schütting nicht abschrecken und guckten, was hier so ging. Dabei zeigte sich, dass die Befürchtungen, hier würden zwei Kulturen und Generationen unvorteilhaft aufeinander krachen, völlig unbegründet waren. Es waren einfach zu viele Musikfest-Gäste, die kleinen Grüppchen von Techno-Kids gingen unter.
Allerdings waren auch weit weniger gekommen, als der Veranstalter der Parade angekündigt hatte. Mit 50.000 hatte der gerechnet, die Polizei zählte gerade einmal 15.000 Besucher – und das auch nur zu Spitzenzeiten. Viele Teilnehmer machten tags darauf in Internet-Foren ihrer Enttäuschung Luft. „Die schlechteste Parade seit Jahrzehnten, das hätten sie lieber absagen sollen“, schreibt „Astroh“, „Stimmung gleich Null. Nach einer Stunde waren 10 halbleere Wagen an uns vorüber“. Ein „Rupert“ bläst in das selbe Horn: „Insgesamt eine recht langweilige Veranstaltung.“ Vor allem dem Publikum kann er wenig abgewinnen: „60-jährige Männer, die versuchen mit ihrer Digicam 14-jährigen Mädels unter den Rock zu fotografieren, muss ich auch nicht unbedingt sehen…“ Anderen hingegen gefällt die Mischung der Generationen, einer nennt es einen „Faschingsumzug“, der sowohl Kinder als auch Großeltern erfreut. So hatten es sich einige Schaulustige mit Gartenstühlen bequem gemacht.
Für die Polizei verlief die Vision Parade „weitgehend störungsfrei“, wie sie gestern mitteilte. Dabei mussten sich zwei Zivilfahnder mit Ravern rangeln, denen sie Ecstasy-Tabletten abgenommen hatten. Als sie die beiden Männer kurz darauf wieder trafen, versuchten diese mit Unterstützung anderer Paradisten, ihre Drogen zurück zu bekommen. Ein 21-Jähriger wurde anschließend festgenommen. Außerdem stellte die Polizei 65 Strafanzeigen wegen Drogen-Konsums, ein Mann stürzte von einem Lastwagen und musste wegen einer Kopfplatzwunde ärztlich behandelt werden.
Eiken Bruhn