Und wieder ruft der Wachtelkönig

Im Streit darum, wer die Last der geplanten A 26 durch das Alte Land bei Hamburg tragen muss, hat sich jetzt die niedersächsische Landesregierung eingemischt: Sie will die Bewohner des Dorfes Rübke gegen den Naturschutz unterstützen

von Gernot Knödler

Wenn in Hamburg einer „Wachtelkönig“ sagt, fangen alle an zu schmunzeln. Denn der geschützte Vogel ist ein notorischer Unruhestifter. Schon 1997 hat er bei den Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Grün-Alternativer Liste (GAL) für Furore gesorgt. Am Ende verhinderte er eine neue Siedlung mit 3.000 Wohnungen im so genannten Moorgürtel des Alten Landes.

Durch das gleiche Gebiet, nur auf niedersächsischem Territorium, soll jetzt die Autobahn A 26 von Stade nach Hamburg gebaut werden. Um den seltenen Vogel möglichst wenig zu stören, entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg, müsse die Trasse nah am Dörfchen Rübke vorbeigeführt werden. Dessen Bewohner fühlen sich gegenüber dem Wachtelkönig zurückgesetzt. Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) hat ihnen nun Unterstützung versprochen.

Die Anwohner fürchten den Lärm der Autobahn, die nach einer vom Gericht als zumutbar erachteten Variante bis auf 160 Meter an einzelne Wohnhäuser heranrücken würde. Dass die Autobahn gebaut werde, sei schon schlimm genug, sagt der Rübker Ortsvorsteher Helmut Ellmers. Die Leute würden sie als notwendig akzeptieren. „Keiner“ allerdings sei bereit, „sich auch noch die Brille des Wachtelkönigs aufzusetzen“, sagt Ellmers.

Die neue Autobahn soll die stark befahrene und unfallträchtige Bundesstraße 73 von Hamburg Richtung Cuxhaven entlasten. Wird die Ostseeautobahn A 20 um Hamburg herum gebaut und unter der Elbe hindurch nach Süden verlängert, bietet die A 26 einen Anschluss für den kurzen Weg nach Hamburg. Der vielfach herbeigesehnte Autobahnring um die Hansestadt wäre im Westen vollendet. Wer von den niedersächsischen Städten Stade und Buxtehude nach Hamburg pendelt, könnte auf die Tube drücken.

Am ersten Abschnitt der Piste von Stade nach Horneburg wird seit 2001 gebaut. 2008 soll er fertig sein. Den Plan für den zweiten Abschnitt von Horneburg zur Landesgrenze bei Rübke hat die damalige Bezirksregierung in Lüneburg im Januar 2004 genehmigt. Die Arbeitsgemeinschaft Umweltplanung Niederelbe, ein eingetragener Naturschutzverein, klagte dagegen und erhielt beim OVG Ende vergangenen Jahres teilweise Recht: Ein 1,5 Kilometer langes Teilstück bei Rübke muss 400 Meter näher ans Dorf verlegt werden, um das Reich des Wachtelkönigs nicht ganz so stark zu durchschneiden.

Der Vogel ist nach der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU geschützt. Sein Lebensraum im Moorgürtel ist als Schutzgebiet ausgewiesen: 800 Hektar auf Hamburger Seite, noch mehr in Niedersachsen. Anknabbern darf die Autobahn das Reich des Wachtelkönigs trotzdem, daran hat das Gericht keinen Zweifel gelassen. Denn die Alternativroute nördlich an Rübke vorbei würde mitten durch die Baumplantagen des größten deutschen Obstanbaugebietes führen. Für die alte, von holländischen Kolonisten urbar gemachte Kulturlandschaft mit ihren schönen Höfen ist sogar ein Schutz als Unesco-Weltkulturerbe angedacht. „Die Unzumutbarkeit, gerade diesen Teil der historischen Kulturlandschaft ‚Altes Land‘ zugunsten des Vogelschutzgebietes zu opfern, ergibt sich aus der Einzigartigkeit der Cope Nincop“, schreibt das Gericht, „die es in dieser Form der Siebenvoorling-Kultivierung allein in der holländischen Herkunftsregion der Kolonisten um Nieuwkoop gibt.“

Wenn aber das Wachtelkönig-Schutzgebiet südlich von Rübke angeknabbert werde, so das Gericht, dann müsse den Dorfbewohnern der Autobahnlärm im Rahmen der Grenzwerte zugemutet werden. Das Gericht schlägt dabei eine Kompromissvariante vor, bei der eine Lärmschutzwand nicht nötig wäre und statt sechs Bauernhöfen nur einer umgesiedelt werden müsste. Im Gegenzug blieben 110 Hektar mehr vom Vogelschutzgebiet erhalten.

Ortsvorsteher Ellmers findet trotzdem, dass das Dorf „unangemessen hart“ von dem Gerichtsbeschluss betroffen sei. Bloß weil Rübke kein reines Wohngebiet sei, müsse es mehr Lärm ertragen. Und das, wo sich der scheue Wachtelkönig in diesem Jahr zum ersten Mal seit 2002 wieder bemerkbar gemacht habe. „Für die Menschen ist das so nicht hinnehmbar“, sagt Ellmers. Obwohl sich aus der vom Gericht vorgeschlagenen Trasse kein gesetzlicher Anspruch auf eine Lärmschutzwand ableiten lässt, bekommeman in Rübke „jetzt Signale, dass es sie vielleicht doch gibt“.

Ministerpräsident Wulff hat Ortsvorsteher Ellmers und dem Neu Wulmstorfer Bürgermeister Günter Schadwinkel in der vergangenen Woche versichert, die Landesregierung werde sich beim Bundesverkehrsministerium für die Leute von Rübke einsetzen. Zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel will Wulff das Beispiel Rübke angeblich sogar auf EU-Ebene zum Thema machen.