: Der Mann, der Elfter wurde
Vor zwei Jahren war Carsten Schlangen noch Hobbyläufer. Dann stellte der Berliner sein Studium hintenan und wurde Deutscher Meister über 1.500 Meter. Beim Istaf im Olympiastadion trat er gegen die Weltelite an – und wurde nicht Letzter
VON JOHANNES KOPP
Eigentlich lief alles optimal für Carsten Schlangen. Nur nicht Letzter werden. Dies war das Ziel bei seiner Istaf-Premiere. Am Ende kam er beim 1.500-Meter-Lauf in einem Weltklassefeld auf den elften Platz. Er lief die zweitbeste Zeit seines Lebens. Zwei Läufer trudelten noch nach ihm über die Linie. Dennoch fluchte Schlangen, als er Minuten später in den Katakomben des Olympiastadions seine Zeit erfuhr. Mit 3:39,09 blieb er gut eine Sekunde über seinem persönlichen Rekord. Eine Bestmarke wäre auch durchaus möglich gewesen. „Zwei, drei Läufer, die vor mir waren, haben mich ausgebremst“, hadert der 25-jährige Berliner. Er musste zwei Konkurrenten umkurven, die ihr Tempo nicht mehr halten konnten.
Vor zwei Jahren hätte Schlangen einen Start beim Internationalen Stadionfest (Istaf) noch als Träumerei abgetan. Damals war der gebürtige Meppener noch Hobbyläufer, der seine größten Auftritte bei den Niedersachsenmeisterschaften hatte. Der Berliner Architekturstudent fasste zu dieser Zeit den Entschluss, künftig zu Lasten seiner Unikarriere den Laufsport professionell auszuüben. Einmal wollte er bei den deutschen Meisterschaften auf dem Treppchen stehen.
Zu seiner eigenen Überraschung erwies sich diese Vorgabe schnell als zu läppisch. Nach nur einem Jahr steigerte er seine Bestzeit über 1.500 Meter um 13 Sekunden. Und schon in diesem Sommer wurde Schlangen Deutscher Meister in seiner Spezialdisziplin. Völlig unverhofft durfte er trotz verfehlter Normzeit nach Göteborg zur Europameisterschaft reisen.
Dort verpasste Schlangen zwar knapp den Finallauf, doch die internationale Rennerfahrung war für ihn von unschätzbarem Wert: „Ich habe dort taktische Fehler gemacht. Die werden mir kein zweites Mal unterlaufen.“ Deswegen ärgert es den Wahlberliner auch, wie schwer es Läufern seiner Leistungsstärke gemacht wird, in den exklusiven Kreis der Topathleten aufgenommen zu werden. „Einen Startplatz bei einem Golden-League-Rennen zu erhalten, ist normalerweise nahezu unmöglich“, bedauert Schlangen. Der Wettlauf mit Weltspitze beim Istaf war ihm nur vergönnt, weil er als Lokalgröße vermarktet werden konnte.
Anfangs plagten Schlangen aufgrund dieser Sonderstellung „moralische Bedenken“, wie er sagt. Franek Haschke und Jonas Stifel aus seiner Trainingsgruppe beim LG Nord Berlin hätten genauso einen Startplatz verdient. Der Individualsportler Schlangen ist ein Befürworter des Teamgedankens: Seine Erfolge habe er Haschke und Stifel zu verdanken. Deren stetige Konkurrenz treibe ihn erst zu Höchstleistungen an.
Der Sportler Schlangen leistet Erstaunliches, der Mensch Schlangen staunt: „Ich habe mich immer wieder selbst überrascht.“ Er weiß, es kann nicht immer so weitergehen. Aber wie weit er es bringen kann, das möchte er doch gerne in Erfahrung bringen. „Ich will mir nichts schuldig bleiben“, heißt sein gestrenger Leitsatz. Schlangen kann sich kaum Schlimmeres vorstellen, als dass er später einmal zum Schluss kommt: „Das hätte ich eigentlich draufgehabt.“
Beim Istaf-Rennen hat er jedenfalls eine gute Leistung gezeigt. Er konnte seine guten Saisonergebnisse bestätigen. Sich selbst konnte er nicht mehr überraschen. Er hat ein kräftezehrendes Jahr hinter sich. Im nächsten, sagt Schlangen, will er genau an die Zeiten anknüpfen, die er jetzt gelaufen ist. Wenn er gesund bleibt, ist mit weiteren Steigerungen zu rechnen.