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Archiv-Artikel

Mexikos Staatschef zum Schweigen gebracht

Linke Abgeordnete verhindern aus Protest gegen vermeintlichen Wahlbetrug Rede im Parlament. Trotz Absage des Protestmarschs demonstrieren 3.000 Menschen für den unterlegenen Präsidentschaftskandidaten López Obrador

MEXIKO-STADT taz ■ Die Auseinandersetzungen um das mexikanische Präsidentschaftsamt haben zu einem ersten Eklat im Parlament geführt. Der scheidende Staatschef Vicente Fox konnte während der konstituierenden Sitzung der Kammer seinen letzten jährlichen Rechenschaftsbericht nicht vorlesen, da rund 120 Abgeordnete und Senatoren der Partei der Demokratischen Revolution (PRD) die Rednertribüne besetzten. Fox übergab seinen Bericht in schriftlicher Form.

Mit der Besetzung beleidige die PRD nicht ihn, „sondern das Präsidentenamt und vor allem das ganze Volk“, erklärte der konservative Staatschef am selben Abend in einer Fernsehansprache. Mit der Aktion protestierten die PRD-Politiker gegen den mutmaßlichen Wahlbetrug, der ihren Kandidaten Andrés Manuel López Obrador bei den Präsidentschaftswahlen vom 2. Juli um den Sieg gebracht haben soll.

López Obrador hatte kurz vor der Parlamentssitzung seine Anhänger dazu aufgerufen, nicht wie geplant zur Abgeordnetenkammer zu marschieren. „Wir werden in keine Falle laufen und uns auch nicht provozieren lassen“, sagte der links gemäßigte Politiker vor rund 50.000 Menschen in Mexiko-Stadt. Um das Gebäude zu schützen, hatte die Bundesregierung rund 6.000 Polizisten eingesetzt. Alle nahen Metrostationen wurden geschlossen, Zufahrtstraßen waren mit meterhohen Stahlbarrikaden abgesperrt. Lediglich rund 3.000 Menschen machten sich auf den Weg, um an den Absperrungen zu demonstrieren.

Vertreter aller Oppositionsparteien kritisierten allerdings den Ausnahmezustand, in dem die erste Sitzung des neuen Parlaments stattfand, als „Schande für das Land“. Im Zeltlager, mit dem PRD-Aktivisten seit einem Monat einen Teil des Zentrums der Hauptstadt lahmlegen, herrschte nach der Aktion der Parlamentarier Siegesstimmung. „López Obrador, Präsident“, hieß es in Sprechchören.

Ob der PRD-Kandidat noch Chancen auf das höchste Staatsamt hat, ist mehr als fraglich. Letzte Woche verwarf das Bundeswahlgericht die meisten Klagen der PRD, mit denen die Partei einen Wahlbetrug angezeigt hatte. Auch eine partielle Nachzählung von neun Prozent der Stimmzettel hatte nach Angaben der Richter keine Veränderung des Ergebnisses gebracht. Demnach spricht alles dafür, dass der Kandidat der Partei der Nationalen Aktion (PAN) Felipe Calderón in den nächsten Tagen zum Präsidenten ernannt wird.

López Obrador fordert weiterhin eine Neuauszählung aller Stimmen. Für den 16. September ruft die PRD zu einem „Nationalen Demokratischen Konvent“ auf. Hunderttausende sollen in Mexiko-Stadt eine „Widerstandsregierung“ ins Leben rufen.

Fox zeichnete indes in seiner Fernsehansprache ein positives Bild von den politischen Verhältnissen und seiner knapp sechsjährigen Amtszeit. Die Demokratie habe sich stabilisiert, erklärte er. Nicht nur in der PRD stieß diese Einschätzung auf Verwunderung. Der Kommentator Alberto Aziz Nassif bescheinigte dem Staatschef, er habe sich von der Realität abgekoppelt. „Von welchem Land spricht Fox, Mexiko kann es nicht sein“, schrieb Nassif in der Tageszeitung El Universal. WOLF-DIETER VOGEL

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