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Archiv-Artikel

Kein Ort der leisen Auftritte

taz-Serie „Bezirkssache“ (Teil 10): Neukölln hat mit Heinz Buschkowsky einen der bekanntesten Bürgermeister Deutschlands. Ihm nutzt die Zuwanderungsdebatte – auch im Bezirkswahlkampf. Wählen dürfen die meisten Migranten aber nicht, und nur wenige von ihnen kandidieren

Es ist nicht leicht, aus Buschkowsky schlau zu werden – oder ihn gar zu mögen

Von Alke Wierth

Mit weit ausgebreiteten Armen steht Klaus Wowereit, der Regierende Bürgermeister, auf einer Bühne im Einkaufzentrum Gropius Passagen im Süden Neuköllns. Die SPD hat an diesem Nachmittag zu einer Wahlkampfveranstaltung geladen. „Sie haben einen wunderbaren Bezirksbürgermeister“, ruft Wowereit seinem Publikum zu, und: „Wählen Sie ihn wieder!“ Der so Gelobte steht neben der Bühne, er hat seinen Auftritt bereits hinter sich. Sein Lächeln wirkt angestrengt und etwas ungläubig. So viel Lob kriegt Heinz Buschkowsky von Wowereit nicht immer.

Buschkowsky ist nach dem Regierenden der wohl bekannteste Bürgermeister Berlins – und zwar deutschlandweit. Mit Thesen wie „Multikulti ist gescheitert“ und mit düsteren Prognosen für die Zuwanderungsgesellschaft ist der Bezirkspolitiker beliebter Gast in vielen Talkshows gewesen. Dass Neukölln heute vor allem als Beispiel für misslungene Integration, gar als „Bronx“ (O-Ton Spiegel) Bekanntheit erlangt hat – daran ist Buschkowsky nicht unschuldig.

Den 58-Jährigen ärgern solche Zuschreibungen dennoch, und dann erinnert Heinz Buschkowsky gern an die schönen Seiten seines Bezirks und an seine vielen beispielhaften Integrationsmaßnahmen und -projekte, die nie ausreichend wahrgenommen würden.

Es ist nicht leicht, aus Heinz Buschkowsky schlau zu werden – und schon gar nicht, ihn zu mögen. Der kleine, runde Mann mit der großen Brille, der immer Anzug und ab und zu Krawatten mit Nilpferden darauf trägt, ist das, was man einen „Bollerkopp“ nennt: Er meckert gern und viel, und das nicht gerade leise.

„Dass Herr Buschkowsky eine sehr dominierende Persönlichkeit ist, ist ja kein Geheimnis“, sagt Gabriele Vonnekold von den Neuköllner Grünen– und lächelt dabei milde. Die Grünen haben „im Großen und Ganzen“ ihren Frieden mit dem SPD-Mann gemacht, der 2001 nur mit ihren Stimmen Bezirksbürgermeister werden konnte. Mit 36,1 Prozent hatte die CDU bei der damaligen Bezirkswahl 0,6 Prozent Vorsprung vor der SPD – für einen weiteren, stimmentscheidenen Vertreter in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) reichte das nicht. Das Patt glichen die Stimmen der fünf grünen BVV-Mitglieder aus. Und käme es bei dieser Wahl zu einem ähnlichen Gleichstand – sie würden es wieder tun. Von ihr aus könne Buschkowsky noch ein paar Jahre „weiterbollern“, sagt Vonnekold: „Wenn er damit weiter so viel für den Bezirk rausholt, ist das schon in Ordnung.“

Dass er das tut, ist nicht zu bestreiten: 9 der 30 Quartiersmanagementgebiete liegen in Neukölln. Heinz Buschkowskys Talkshow-Auftritte dürften dazu ihren Teil beigetragen haben.

Für die Neuköllner CDU, die drei der sechs Stadtratsposten besetzt, ist es gar nicht so leicht, sich gegen den Sozialdemokraten zu profilieren. Wenn der gegen blauäugig-naive „Multikulti-Träumer“ wettert und das Integrationskonzept des rot-roten Senat freundlich-abfällig „philosophisch“ nennt, dreht sich nicht wenigen seiner ParteigenossInnen der Magen um. Vielen potenziellen CDU-Wählern hingegen spricht Buschkowsky damit aus dem Herzen. „Untätigkeit“ lautet der Hauptvorwurf, den die Christ- dem Sozialdemokraten machen.

„Handeln statt Reden“ heißt dann auch etwas hilflos das Programm der Neuköllner CDU. Deren Forderungen wie beispielsweise die, auf Eltern nichtdeutscher Herkunft durchaus auch Zwang auszuüben, um sie zur Nutzung von Integrationsangeboten zu bewegen, dürfte wiederum bei Neuköllner Sozialdemokraten durchaus auf einige Zustimmung stoßen.

Die Neuköllner SPD gilt in Berlin traditionell als rechter Flügel der Partei. „Rechts“ – dieses Attribut hört der Kreisvorsitzende Fritz Felgentreu aber gar nicht gern. „Realistisches Zentrum“: So möchte der promovierte Altphilologe seinen Kreisverband gerne beschrieben wissen. In Neukölln, einem Bezirk, der auch ohne Fusion in zwei markant verschiedene Teile zerfällt, ist eine Wählergruppe durchaus einflussreich, die ansonsten beinahe vom Aussterben bedroht ist: die der wohlhabenden Arbeiter. Davon zeugen die bescheidenen, aber properen Eigenheime, die gepflegten Vorgärten und die vielen ebenso gepflegten Daimler älteren Modells vor allem im Süden des Bezirks. Traditionell sozialdemokratisch, aber „strukturkonservativ“ – so beschreibt Felgentreu diese Klientel, die mit avantgardistischen linken Ideen kaum zu gewinnen ist.

Es sind diese – deutschen – Wähler, die über den Wahlausgang in Neukölln bestimmen. Zwar dominieren Themen wie Zuwanderung und Integration nahezu jede politische Debatte in und über den Bezirk, zwar wirbt Neukölln auf seinen Webseiten mit seinen Bewohnern „aus 160 Nationen“: Mitwählen darf der größte Teil der Zuwanderer jedoch auch bei Kommunalwahlen nicht. Mehr als ein Fünftel der Neuköllner Bevölkerung hat keinen deutschen Pass.

Eine einzige Bezirksverordnete nichtdeutscher Herkunft gibt es in Neukölln: Gülaysan Karaaslan von der PDS. Seit knapp zwei Jahren erst sitzt die 40-Jährige in der BVV. Sie habe oft „unter der offen gezeigten Fremdenfeindlichkeit einiger Verordneter der anderen Fraktionen“ dort gelitten, schreibt sie auf ihrer Internetseite.

Unter den BVV-KandidatInnen der SPD finden sich keine MigrantInnen auf aussichtsreichen Plätzen, und selbst bei den Grünen, die die Plätze drei und vier ihrer Landesliste mit türkischstämmigen KandidatInnen besetzt haben, bleiben in Neukölln die Deutschen unter sich. Erklären kann Susanne Kahlefeld, Migrationspolitikerin der Grünen, sich das nicht: „Unsere Türen stehen offen.“

Nader Khalil, der bislang erste und einzige BVV-Kandidat in Neukölln, der aus der im Bezirk großen Gruppe arabischstämmiger Zuwanderer stammt, kandidiert für die CDU. Die wertegebundene Familienpolitik, aber auch deren Haltung in Sicherheits- und Drogenfragen hätten ihn dazu bewegt, sagt der 38-Jährige, der schon als Kind nach Deutschland kam.

Doch auch Buschkowsky muss im Wahlkampf nicht komplett auf Unterstützung von Migranten verzichten. Mit leuchtenden Augen lobt bei der SPD-Wahlveranstaltung in den Gropius Passagen eine junge Vertreterin des Neuköllner Vereins „Türkisch-deutsches Zentrum“ die Integrationspolitik des Bezirkes. Mustafa Akcay, der stellvertretende Vorsitzende des Vereins, ist seit fünf Jahren SPD-Mitglied. Dass kein türkischstämmiger Kandidat für die Sozialdemokraten antritt, findet der 60-Jährige „Scheiße – und das können Sie auch so schreiben“. Doch die Schuld dafür sieht er eher auf der Seite der Migranten: „Wir haben zu spät angefangen, uns in die Bezirkspolitik einzumischen.“

Voll hinter seinem Bezirksbürgermeister steht der türkischstämmige Sozialdemokrat ebenso wie seine deutschen Genossen: Das Bild, das in den Medien von Buschkowsky gezeichnet würde, sei falsch, meint Akcay. „Wir beurteilen ihn nach dem, was er in der Praxis macht.“