piwik no script img

Archiv-Artikel

Sind Sanktionen gegen Russland richtig?

DISKUSSION Ja, sagt Rebecca Harms (Grüne), denn die EU müsse klarmachen, welchen Preis Putin zu zahlen habe. Nein, sagt Stefan Liebich (Linkspartei). Er plädiert für reden, reden, reden

Rebecca Harms

■ 57, ist Fraktionschefin der Grünen im EU-Parlament und Spitzenkandidatin für die Europawahl im Mai.

JA

VON REBECCA HARMS

Die Invasion auf die Krim war systematisch vorbereitet. Der russische Präsident hat sich bewusst für den Bruch des Völkerrechts und der UN-Charta entschieden. Wie weit er für neue territoriale Ansprüche gehen wird, ist ungewiss. Über Europa, zumindest über Zentral- und Osteuropa legt sich eine Angst vor Krieg. Es geht um die Souveränität der Ukraine, aber auch um globale Werte, für die die EU steht. Was muss, was kann die EU jetzt tun? In vielen Kommentaren schwingt derzeit eine fatalistische Haltung mit: Wladimir Putin könne tun, was er will, der Westen sei ohnmächtig. Die EU-Wirklichkeit entspricht das nicht: Die EU hat wirtschaftliche und politische Handlungsmöglichkeiten.

Dabei geht es nicht um militärische Antworten. Keiner außer Putin will eine kriegerische Eskalation im größten östlichen Nachbarland der EU riskieren. Natürlich muss das erste Ziel sein, alle Parteien an den Verhandlungstisch zu bekommen. Bisher scheitert alle Diplomatie an Moskau. Das liegt wohl auch daran, dass diese Diplomatie bisher mit keinen glaubwürdigen Sanktionen verknüpft worden ist. Jetzt muss entschieden werden, wann und unter welchen Umständen sie in Kraft treten.

Eine Garantie, dass Putin so an den Verhandlungstisch zurückkehrt, gibt es nicht. Aber die EU muss deutlich machen, wie hoch der Preis für sein Vorgehen ist und dass dieser Weg in die internationale Isolation führt.

Waffenexporte und die Rüstungszusammenarbeit mit Russland müssen sofort beendet werden. Es ist Irsinn, dass Frankreich noch in diesem Jahr ein Kriegsschiff an Russland liefern will. Auch deutsche Unternehmen haben Russland in den vergangenen Jahren versorgt – etwa mit einem hochmodernen Ausbildungszentrum für Infanterie und Panzerverbände. Damit muss sofort Schluss sein.

Russland ist von der EU mindestens so abhängig wie umgekehrt. Gerade zur Modernisierung brauchen russische Unternehmen das Know-how aus der EU. Wie riskant die Aggressionspolitik Putins für die heimische Wirtschaft ist, haben die ersten Tage der Krim-Krise deutlich gezeigt, als der Rubel abstützte, die Gazprom-Aktie in den Keller ging und die ganze russische Börse wackelte. Gezielte Reisebeschränkungen und das Einfrieren von Konten der russischen Machtelite wären erste Schritte, mit denen die EU Putin zeigen könnte, dass Konfrontation nicht toleriert wird.

Wirtschaftssanktionen, die den russischen Präsidenten beeindrucken können, verlangen auch von uns Veränderung. Die Krise zeigt, wie gefährlich eine einseitige Abhängigkeit bei Energie- und Rohstoffexporten ist. Die EU muss bereit sein, umzudenken und zumindest Projekte wie die geplante Southstream-Pipeline auf Eis zu legen.

Immer wieder höre ich das Echo auf die russische Propaganda, dass es in Kiew einen „faschistischen Putsch“ gegeben hätte. Es stimmt: Auf dem Maidan sind auch Rechte. Nicht alles, was zurzeit in Kiew passiert, ist automatisch gut. Und es ist längst nicht sicher, dass die Oppositionsparteien es schaffen, den demokratischen Weg weiterzugehen. Deshalb braucht die Ukraine jetzt nicht nur unser Geld, sondern echte Unterstützung. Wir müssen helfen, schnell gegen Korruption vorzugehen, und dafür sorgen, dass von den zugesagten Hilfsgeldern die gesamte Ukraine profitiert. Außerdem muss das Assoziierungsabkommen so schnell wie möglich unterzeichnet werden.

Wir haben nichtmilitärische Möglichkeiten. Wenn wir heute nicht Putins Angriff auf die Ukraine und unsere europäischen Werte mit einer klaren Strategie entgegentreten, werden wir morgen viel größere wirtschaftliche, politische und moralische Kosten zu tragen haben.

NEIN

VON STEFAN LIEBICH

Im nächsten Jahr wird es ein Jubiläum geben, das eher nicht zum Feiern einlädt. Es ist dann 55 Jahre her, seit die USA umfassende Sanktionen gegen ihren Nachbarn Kuba verhängt haben. Sie wurden damals mit der Enteignung von amerikanischen Firmen und Bürgern durch die Regierung Fidel Castros begründet und gelten bis heute fort. Das Ergebnis ist außerordentlich fragwürdig.

Denn während sich die inkriminierten Besitzverhältnisse auf der Karibikinsel auch nach über einem halben Jahrhundert nicht wesentlich veränderten, herrscht dort stattdessen ein eklatanter Mangel auch an den elementarsten Dingen. Die Sanktionen treffen, natürlich, vor allem die kleinen Leute. Und das ist nur ein Grund, solchen Maßnahmen eher ablehnend gegenüber zustehen.

Stefan Liebich

■ 41, ist seit 2009 für die Linkspartei im Bundestag und dort Mitglied im Auswärtigen Ausschuss.

In der Regel werden Sanktionen von sich überlegen fühlenden Staaten oder Staatengruppen als Strafmaßnahmen gegen andere Staaten oder Staatengruppen verhängt. Es gibt im Völkerrecht aber keinen legitimierten Sanktionskatalog, mit dem reale oder vermeintliche „Normverstöße“ von der einen gegenüber der anderen Seite zu ahnden wären, es sind immer und vor allem willkürliche Entscheidungen.

Das ist auch im Ukraine-Konflikt nicht anders. Ohne Zweifel hat Russland mit seinen Beschlüssen zur Krim gegen das Völkerrecht verstoßen, fehlt uns für die Intervention jedes Verständnis. Doch kaum war die Nachricht davon in der Welt ertönte nahezu reflexartig der Ruf nach Sanktionen. Die schlichte Rechnung, die dabei gern aufgemacht wird – Wirtschaftsraum EU mit 500 Millionen Einwohnern sanktioniert Wirtschaftsraum Russland mit 144 Millionen Einwohnern –, wird aber so sicher kaum aufgehen. Nicht nur, weil bei einem Handelsvolumen allein zwischen Deutschland und Russland in Höhe von 76 Milliarden Euro harte Wirtschaftssanktionen auch wie ein Bumerang wirken würden und bis zu 300.000 Arbeitsplätze in der Bundesrepublik zur Disposition gestellt werden könnten, sondern auch, weil es schier unvorstellbar erscheint, dass Russland einer solchen Druckkulisse nachgibt.

Jegliche Versuche, Russland stärker in die wirtschaftliche und politische Isolation treiben zu wollen, machen die Reaktionen aus Moskau nur noch unberechenbarer. Die Verhängung von Sanktionen ist daher eher ein Beitrag zu Eskalation und präjudiziert einen gefährlichen Aktionismus. Das wird offensichtlich auch im Regierungslager so diskutiert. Die CSU-Landesgruppenchefin im Bundestag Gerda Hasselfeldt fragt diesbezüglich nicht zu unrecht: „Macht es Sinn, oder ist es nur eine Trotzhaltung?“

Um der Integrität der Ukraine und der Vermeidung eines Bürgerkriegs noch eine Chance zu geben, ist vor allem das Tor zu Verhandlungen weit offen zu halten. Wir müssen alle Gesprächskanäle nutzen, in der OSZE und im Europarat, im UNO-Sicherheitsrat und auch auf dem G-8-Gipfel. Reden, reden, reden steht jetzt ganz oben auf der Agenda statt Sanktionen, Treffen absagen, Botschafter abziehen. Wir sind nicht mehr im Kalten Krieg, und Russland ist nicht die Sowjetunion. Russland ist viel zu groß und zu wichtig, als dass wir es als Partner verloren geben dürfen.

Im Übrigen haben gerade wir hierzulande besondere sanktionsferne Erfahrungen: Es war 1983, als ein westdeutsches Bankenkonsortium der DDR einen Milliardenkredit gewährte, eingefädelt durch Franz Josef Strauß. Bürge war die Bundesregierung. Und 1987 wurde Erich Honecker zum Staatsbesuch mit vollem Protokoll empfangen.

Nur wenig später feierten Deutsche in Ost und West die Vereinigung ihrer beiden Staaten. Friedlich.