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Archiv-Artikel

„Schmalstieg ist nicht Berlusconi“

Nach fast 35 Jahren im Amt geht der „ewige“ SPD-Bürgermeister von Hannover in den Ruhestand. Er ist eine Rampensau, ein Umarmer, ein Händeschüttler – und ein Politiker-Typus, den es so heute nicht mehr gibt, sagt der Politologe Heiko Geiling. Gespräch über ein Denkmal

Interview: Kai Schöneberg

taz: Hannover ist seit dem Krieg in der Hand der SPD, fast 35 Jahre regiert OB Herbert Schmalstieg – demokratietheoretisch ein Desaster?

Heiko Geiling: Nur in der Theorie. Schmalstieg stand ja nicht umsonst so lange an der Spitze der Stadt. Er ist das, was in der modernen medial inszenierten Politik gering, aber von den Menschen hoch geschätzt wird: Schmalstieg symbolisiert Verlässlichkeit. Er besitzt soziales Kapital, ein Vertrauen, das man sich mit keiner Marketingmaßnahme der Welt kaufen kann. Dahinter steckt die Investition von Zeit, viel Alltagspräsenz und Händeschütteln von Omas und Opas, in Kleingärtnervereinen, bei goldenen Hochzeiten. Auf Bürgerversammlungen duzen ihn alle: Das ist „ihr“ Herbert. Schmalstieg erweckte auch nie den Eindruck, dass er den Posten nur als Sprungbrett für etwas Höheres benutzen wollte. Wenn die Landespartei mal wieder am Stock ging, wurde oft nach ihm gerufen, aber er kam nie.

Der Ruf war wohl nicht laut genug …

Er wurde häufig belächelt, weil er merkwürdig nuschelt, aber nie zum Sprachtherapeuten gegangen ist. Schmalstieg ist nicht Berlusconi, der sich für seine Karriere liften lässt. Er ist ein Phänomen, weil er immer der Herbert geblieben ist. Bei der letzten Wahl stand nicht „SPD“ oder sein Name auf den Wahlplakaten, sondern nur „Der Hannoveraner“.

Als er 1972 gewählt wurde, war er in der Stadt noch gar nicht so bekannt.

Und auch in der SPD nicht unumstritten. Schmalstieg war 28, Angestellter bei der Sparkasse, Ratsherr und Juso-Chef des Bezirks. Egon Franke, einer der konservativen „Kanalarbeiter“ der SPD, war gerade durch Peter von Oertzen als SPD-Chef in Hannover abgelöst worden. Schmalstieg war Symbol eines Generationenwechsels in der Partei und musste sogar über Kampfabstimmungen durchgesetzt werden.

Die Wahl klappte nur, weil Schmalstieg der SPD angehörte, oder?

Stimmt. Die Parteibindung war damals viel stärker als heute. Aber Schmalstieg ist mit dem Amt gewachsen: Er hat keine Auseinandersetzungen gescheut, hat sich immer öffentlichen Diskussionen gestellt, Kritik ertragen und auch ausgeteilt, ohne dabei verletzend zu wirken.

Eine Rampensau …

… mit einem Elefanten-Gedächtnis. Ich erinnere mich an eine Veranstaltung, wo er einen Kollegen von mir 30 Jahre nach dem letzten Treffen mit dem Vornamen ansprach. Der war perplex!

Der OB-Kandidat der CDU, Dirk Toepffer sagt, er würde keine potenten Unterstützer für seinen Wahlkampf finden, weil alle Angst davor hätten, sich gegenüber dem sozialdemokratischen Establishment zu outen. Haben 20 Jahre rot-grüne Koalition im Stadtrat zu viel Filz hinterlassen?

An Toepffers Stelle würde ich auch so argumentieren. Aber: In Hannover gibt es keine mafiösen Strukturen – wenigstens ist das bislang nicht nachgewiesen worden. Den Klüngel gibt es woanders, zum Beispiel in Köln – und da regiert die CDU.

Aber auch erst seit einigen Jahren.

In Hannover nennt man das „Netzwerk“. Und natürlich bleibt es nicht aus, dass Parteifreunde mit mehr oder minder lukrativen Posten „versorgt“ werden. Insofern hat Toepffer vielleicht recht. Aber seine Kritik lenkt eher von den eigenen Schwierigkeiten vor Ort ab. Als Beobachter gewinnt man den Eindruck, als gönne bei der lokalen CDU der eine dem anderen nicht das Schwarze unter den Fingernägeln.

Toepffers Vorgänger-Kandidatin Rita Pawelski hätte es dennoch vor zehn Jahren fast geschafft, den ewigen Herbert zu besiegen.

Das war knapp, hat aber auch mit der niedrigen Wahlbeteiligung zu tun. Die Konservativen sind besser bei der Mobilisierung ihrer Wähler.

Was hat Schmalstieg für die Stadt geleistet?

Er ist in den 70er, 80er Jahren dem Problem der Deindustrialisierung entgegengetreten und hat frühzeitig auf Dienstleistungen gesetzt. Er hat sich für den Ausbau der Messe und des Flughafens eingesetzt, hat Sportevents und die Expo nach Hannover geholt. Er war auch eine Integrationsfigur mit ausgeprägtem Sinn für soziale Fragen. Nicht zu vergessen, dass er den basisdemokratischen Impuls der 70er Jahre kultiviert hat.

Also die Linken umarmt?

Er hat nicht nur Freizeitheime und Betreuungseinrichtungen ausgebaut, sondern auch Oppositionskultur gefördert und institutionalisiert, zum Beispiel die kritische Bürgerbüro-Stadtentwicklung oder den Raschplatzpavillon. Schmalstieg hat sich stets für die Kurden in der Türkei eingesetzt. Er war noch vor den Grünen gegen atomare Waffen und die Nutzung der Atomenergie. Deshalb hat Hannover auch eine Städtepartnerschaft mit Hiroshima.

Was hat er falsch gemacht?

Schwierig …

Sie gehören also auch zu den 86 Prozent derjenigen, die sich laut Umfragen in Hannover wohl fühlen?

Ja.

Und dennoch ist die Stadt nie das Image der grauen Maus losgeworden. Warum?

Raschplatz, Ihmezentrum, die Bebauung am Kröpke – die größten Bausünden waren vor seiner Zeit. Zwar ordnen viele Leute Hannover in eine Linie mit Paderborn oder Bielefeld ein, aber nur, weil sie diese Städte, wenn überhaupt, nur von der Durchreise kennen. Schmalstieg selbst setzt auch nicht auf Glamour: Ihm reicht es, wenn er zweimal im Jahr in der Tagesschau auftaucht: Bei der Eröffnung der Hannover Messe oder des Kirchentages. Im Übrigen glauben die Hannoveraner, alles zu haben, was man so braucht: Ansehnliche kulturelle Einrichtungen, daneben viele Kleingärten, Hochschulen und – hoffentlich noch etwas länger – Bundesligafußball.

Hamburg hat einen Hafen, bald eine Elbphilharmonie, selbst Wolfsburg hat ein spektakuläres Science-Center. Welchen Leuchtturm hat Hannover? Etwa das neue ECE-Einkaufszentrum?

Hannover braucht solche Leuchttürme nicht. Die Geschäftswelt ist da ganz kaufmännisch nüchtern, denn die Innenstadt ist eine der drei umsatzstärksten in der ganzen Republik, ob sie nun schön ist oder nicht.