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Archiv-Artikel

Doch so viel mehr als nur Radio

POP Musikfernsehen sei tot, heißt es. Stimmt aber nicht. In Berlin feiert das Format mit „The One-Hit Parade“ Wiederauferstehung. Neue Folge ab heute

„The One-Hit Parade“

■ „The One-Hit Parade“ ist eine von Martin Hossbach ins Leben gerufene Musiksendung, in der ausschließlich Berliner Indie- und Popbands vorgestellt werden. Die TV-Sendung wurde seitens des Berliner Musicboards mit 40.000 Euro gefördert. In einer ersten Staffel wurden bisher drei Sendungen produziert, die zweite Sendung ist vom heutigen Samstag an auf der Website www.theonehitparade.com, auf den Lokalsendern Muzu TV, Alex TV, Arte Concert und auf YouTube zu sehen. Ob es eine zweite Staffel geben wird, ist unklar.

■ Martin Hossbach, 1975 in Hamburg geboren, war Booker des Berghain, Manager bei Universal und Spex-Redakteur. Heute betreibt er ein Label namens Martin Hossbach. (jut)

VON JENS UTHOFF

Ach, war es schön mit dir, Peter Illmann. Und mit dir, Stefanie Tücking. An die Moderatoren der Musiksendung „Formel Eins“ mag sich so mancher mit wohligem Schaudern erinnern, auch an Interpreten wie Milli Vanilli oder Rick Astley. Aber das waren wenigstens Fernsehformate für Popmusik! Ob „Formel Eins“, der wesentlich frühere „Beat Club“ oder „Top of the Pops“ – sie alle boten zumindest wichtige musikalische Erweckungserlebnisse. Stünde das Wort Kult nicht zu Recht auf der Liste der verbotenen Wörter, müsste man sagen, diese Musiksendungen wären, nun ja, Kult.

Die Berliner Musikshow „The One-Hit Parade“, die fortan monatlich als Onlinestream oder bei Berliner Lokalsendern zu sehen ist, huldigt zum einen diesen alten Formaten und will gleichzeitig zeigen, was in der Berliner Szene noch an verborgenen Schätzen schlummert. „Wir finden, dass es zu viel gute Berliner Musik gibt, die noch immer zu wenige Menschen kennen“, sagt Moderator Martin Hossbach also gleich zu Beginn der zweiten Folge, die von heute an zu sehen ist (siehe Kasten).

Schlichter Minimalismus

„The One-Hit Parade“ ist eine Low-Budget-Produktion und orientiert sich mit seinem schlichten Minimalismus ziemlich exakt eins zu eins an den Vorbildern – mit dem Unterschied, dass es kein Ranking der Bands gibt. Und wie einst im „Beatclub“ treten die Musiker live an. Jede der fünf bis sechs Bands, die pro Sendung vorgestellt werden, hat für die Show ein Stück in der Kantine am Berghain – dem improvisierten Aufnahmestudio – eingespielt. Bisschen Nebel und Rotlichtlogo dazu, fertig ist die Show. Nach den Auftritten gibt’s kurze Interviews, aus denen Fehler, Peinlichkeiten und ins Stocken geratene Konversation nicht herausgeschnitten wurden – und das ist gut. 40 Minuten Fernsehen, auf das Wesentliche reduziert.

Die Retroalarmleuchten müssen bei so viel (Selbst)ironie also gar nicht erst angehen, zudem kann man sofort mal festhalten: Es ist ein „Top of the Pops“-Fake mit dem guten Geschmack, den man diesen Sendungen schon immer gewünscht hat. Denn dies ist ein großes Pfund, mit dem die Sendung wuchern kann: eine brillante Auswahl an Künstlern hat das Redaktionsteam um den „The One-Hit Parade“-Gründer Hossbach da getroffen. Sie bildet gerade jenen Teil der Berliner Szene ab, der mit dem Mainstream wenig zu schaffen hat.

In der aktuellen Folge ist etwa der großartige Minimalist Steven Warwick zu Gast, der sich als Musiker und Künstler Heatsick nennt. Synthies, Snare und Saxofon, dazu ein bisschen von genau dem 80er-Minimalismus, für den auch das Format steht: Der Housemusiker und Keyboardliebhaber Heatsick verdient, entdeckt zu werden.

Ein weiteres Highlight der aktuellen Sendung ist der Auftritt des Jemek Jemowit, eines Urberliners mit polnischen Wurzeln, der die Grenzen des schlechten Diskogeschmacks austestet. Der Musiker, der sich in seinem Stück selbst zum „Antypatriota“ ernennt, ist irgendwo zwischen dem Soundakrobaten Felix Kubin und King Rocko Schamoni anzusiedeln – mit deutlichem Poleneinschlag. Denn, so erklärt er es in der Sendung im Interview mit Martin Hossbach: „Ich bin halt Pole, so ist es halt. Ich liebe Wodka, trinke gerne, ich bin nicht zuverlässig, ich bin arbeitsfaul, ich habe alle polnischen Eigenschaften. Ich entspreche mehr einem stereotypen Polen als einem stereotypen Deutschen.“

„Wir finden, dass es zu viel gute Berliner Musik gibt, die noch immer zu wenige Menschen kennen“

MARTIN HOSSBACH, „THE ONE-HIT PARADE“-MACHER

Bei allen drei bisher abgedrehten Folgen sind keine Ausfälle dabei. In der ersten Folge war etwa die neue Band der tollen Berliner Noiserock-Gitarristin und Sängerin Anne Rolfs zu sehen, die auf den zu Wortspielen verleitenden Namen Auf hört. Und in der noch folgenden dritten Sendung hat Hossbach mit Alex Zhang Hungtai, der experimentelle Soundcollagen unter dem Namen Dirty Beaches veröffentlicht, und dem Düster-Wave-Popduo Easter musikalisch eindrucksvolle Gäste. Die dritte Folge wird dann ab Mitte April online sein.

Alle Schwächen der Sendung – Hossbach liest die von Popjournalist Jens Balzer geschriebenen Einleitungstexte von Zetteln ab, wenig originelle Kameraeinstellungen und Schnitte, für heutige Sehgewohnheiten kaum mehr übliche lange Einstellungen – kann man im Grunde auch als Stärke interpretieren. Und dass es dann auch eine Radioshow getan hätte, stimmt eben nicht: Den Künstlern bekommt diese einfache, simpel konstruierte Studiosituation vor der Kamera gut.

Und da die Sendung etwas oft Spontanes, wenig Perfektes, genial Dilettantisches hat, ist es eine sehr berlinerische Sendung geworden.