: „Da geht noch was“
ZWEITE CHANCE Die Bundesagentur für Arbeit hat die Spätstarterinitiative ins Leben gerufen. Darüber können Menschen zwischen 25 und 35 Jahren eine Ausbildung nachholen
VON OLE SCHULZ
Eine Ausbildung wollte Felicitas schon lange machen. Doch sie hatte die Schule ohne Abschluss verlassen. „Mir stand die Pubertät im Weg“, sagt sie. Als sie „im Kopf so weit war“ und den Schulabschluss 2001 nachholte, wollten die Unternehmen sie aber nicht mehr. Bis zur Geburt ihrer Tochter 2007 übernahm Felicitas verschiedene Hilfs- und Zeitarbeitjobs, dann trennte sie sich von ihrem Ehemann. Wie viele Alleinerziehende lebte sie fortan von der Grundsicherung. Erst jetzt, mit 31 Jahren, macht sie eine Ausbildung zur Tourismuskauffrau. Das sei allerdings nur möglich, weil ihre Tochter inzwischen zur Schule geht und ihre Familie sie „sehr unterstützt“. Dazu komme, dass sie einen enormen Durchhaltewillen habe. „Ich bin jetzt da, wo ich schon immer hinwollte“, sagt sie rückblickend.
Felicitas aus Hamburg-Wilhelmsburg ist eine von 50 „Spätstartern“, die die Bundesagentur für Arbeit (BA) in ihrer Broschüre „Da geht noch was“ vorstellt. Es sind Menschen, die in jungen Jahren ein chaotisches Leben geführt haben, durch Schicksalsschläge aus der Bahn geworfen wurden oder sich als Zuwanderer mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten und darum weder eine Lehre absolviert noch studiert haben.
Sie alle eint, dass sie mithilfe der Jobcenter und Arbeitsagenturen mittlerweile eine Ausbildung nachholen. Vor einem Jahr hat die Bundesagentur für Arbeit (BA) die Initiative „AusBildung wird was – Spätstarter gesucht“ gegründet. Ihr Ziel ist es, bis 2015 rund 100.000 junge Menschen zwischen 25 und 35 Jahren dazu zu motivieren, einen erneuten Anlauf zu einer Ausbildung zu nehmen. „Der Arbeitsmarkt trennt immer mehr zwischen Insidern und Outsidern“, sagt Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der BA. „Wer eine Ausbildung hat, ist drin, wer keine hat, ist draußen.“ Daher sei jede Investition in Ausbildung und Qualifizierung „eine kluge Entscheidung und langfristig die einzig richtige Strategie“, so Alt.
Bundesweit haben rund 1,5 Millionen junge Menschen zwischen 25 und 35 Jahren keinen Beruf erlernt – viele von ihnen beziehen Hartz-IV-Unterstützung. Wenn sie überhaupt einen Job bekommen, dann nur als Hilfskräfte, befristet oder als Zeitarbeiter. Und werden sie wieder arbeitslos, bleibt ihnen oft keine andere Möglichkeit als der Gang zum Jobcenter. Um diesen „Drehtüreffekt entgegenzuwirken“ und für „stabile Erwerbsbiografien“ zu sorgen, so Alt, habe die BA die Spätstarterinitiative ins Leben gerufen.
Im Februar wurde nun eine erste Bilanz der Initiative vorgestellt. Demnach haben 2013 über 32.000 junge Erwachsene eine Qualifizierung begonnen, an deren Ende ein Berufsabschluss stehen soll – darunter über 6.300 im Bereich der Altenpflege, 4.300 in der Lager- und Logistikbranche und 2.100 im Informatiksektor. Laut Heinrich Alt zeigt der erfolgreiche Start auch ein notwendiges Umdenken bei den Unternehmen, die angesichts des Fachkräftemangels wegen der demografischen Entwicklung mehr älteren Azubis eine Chance geben müssen. Alt versteht die Initiative auch als Programm gegen Altersarmut: „Jeder von ihnen hat noch 30 bis 40 Jahre bis zur Rente und verdient eine zweite Chance.“ Eine „abgehängte Generation“ gelte es zu vermeiden, und eine Ausbildung sei „die beste Vorsorge gegen Altersarmut“.
Jetzt müsse nur noch dafür Sorge getragen werden, dass die Spätstarter ihre Berufsausbildung auch durchhalten, sagt Alt. Deshalb begrüßt er, dass die Politik über finanzielle Anreize für solche Menschen nachdenke – zum Beispiel Erfolgsprämien. „Wenn jemand, der eine Arbeitsgelegenheit wahrnimmt und dafür zu Recht eine Mehraufwandsentschädigung von 150 Euro erhält, sollten auch diejenigen, die eine anstrengende Weiterbildung absolvieren, einen Aufschlag bekommen.“ Sonst sei jeder 1-Euro-Job lukrativer als eine Ausbildung.
In Thüringen und Niedersachsen werden darum bereits Prämien von 2.500 Euro gezahlt, wenn Spätstarter ihre Ausbildung abschließen. Auch bei der Großen Koalition steht das Thema auf der Agenda, und im Koalitionsvertrag heißt es, dass durch „bessere finanzielle Rahmenbedingungen Bereitschaft und Durchhaltevermögen junger Erwachsener“ gefördert werden sollen, „auch in späteren Jahren noch einen qualifizierten Abschluss zu erreichen“.
Vielleicht trägt die Spätstarterinitiative in den Jobcentern zugleich zu einem Umdenken bei einem anderen Problem bei: dass gerade bei Jugendlichen aus Hartz-IV-Familien die Vermittlung in Arbeit bisher stets Vorrang vor einer Berufsausbildung hatte. Denn wenn man diesen ohnehin benachteiligten jungen Menschen schon früher eine Ausbildung ermöglicht, wird man sich einen Teil der Ausgaben für die Spätstarterinitiative sparen können.