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Archiv-Artikel

„Buchbesitz steht für Bildungskapital“

Zwischen Lebensumfeld und Lernerfolg besteht ein starker Zusammenhang, sagt Bildungsforscher Klaus Klemm

taz: Herr Klemm, in NRW gibt es erstmals einen Sozialindex für neue Lehrerstellen. Was halten Sie davon?

Klaus Klemm: Der Ansatz ist sinnvoll. Hier werden die unterschiedlichen Voraussetzungen für Bildungsprozesse berücksichtigt. Übrigens hat auch Frankreich einen Sozialindex. Dort werden sozial schwierige Regionen schon seit vielen Jahren stärker unterstützt.

In den Index fließt etwa die Wohnungsanzahl in Einfamilienhäusern ein. Sind solche Daten aussagekräftig?

Ja, diese Indikatoren sagen viel über die Lebens- und Lernbedingungen von Kindern aus. Wir wissen aus einigen Studien, dass sich die regionalen Lebensbedingungen, also etwa die Wohnungsausstattung oder der Anteil von Sozialhilfe in Familien, im Bildungsverhalten niederschlagen.

Heißt das, Kinder aus Plattenbausiedlungen haben grundsätzlich schlechte Bildungschancen?

So einfach kann man das nicht sagen. Wenn man aber weiß, dass in Plattenbausiedlungen überwiegend Familien wohnen, die ein geringes Einkommen haben, dass die Eltern im Durchschnitt niedrigere Bildungsabschlüsse haben und die Arbeitslosigkeit höher ist, dann macht es Sinn, diese Faktoren in einem Indikator zu bündeln. In die großen Leistungsstudien ist beispielsweise die Zahl der Bücher eingeflossen, die Kinder im Elternhaus vorfinden. Das ist einer der aussagekräftigsten Indikatoren überhaupt, weil Buchbesitz für ein gewisses Maß an Bildungskapital steht.

Wie merken die LehrerInnen, ob ein Kind aus einem solchen Umfeld kommt?

Es gibt Klassen, wo ein Großteil der Kinder morgens ohne Schulbrot zum Unterricht kommt. Das senkt das Lernvermögen. Andere Kinder kommen übermüdet in die Schule, weil sie die ganze Nacht vorm Fernseher verbracht haben.

Können die Schulen diesen Mangel auffangen?

Sie können ihn nicht auffangen, aber ihm unterschiedlich stark entgegenwirken. Allerdings tun andere Länder mehr in diesem Bereich. Wir wissen aus internationalen Vergleichen, dass der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg in Deutschland besonders eng ist, so eng wie in keinem anderen OECD-Staat.

Würden Sie Ihr Kind auf eine Schule schicken, die im Index vorne liegt?

Natürlich nicht. Schließlich sind alle Eltern darauf aus, dass ihre Kinder in einem möglichst guten Lernumfeld unterrichtet werden.

INTERVIEW: MORITZ SCHRÖDER