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Archiv-Artikel

berliner szenen Der Clown hat den Blues

Wahlkampf in Kreuzberg

Als ich vom Kicken kommend über den Moritzplatz radle, begegnet mir Björn Eggert. Auf jeden Fall sieht er so aus. Ich kenne sein Gesicht von Millionen dieser Plakate, die von jedem Mast herunterschreien, -betteln und -drohen: „Wähl mich! Bitte.“

Björn Eggert zieht eine Rikscha, in der zwei Clowns sitzen. In meinem Erschöpfungszustand mögen die Eindrücke verschwimmen. Kann auch sein, dass das keine Rikscha ist, sondern ein kleiner mobiler Wahlinformationsstand; dass das keine Clowns sind, sondern nur merkwürdig rotweiß geschminkte Wahlhelfer.

„Björn Eggert! Weiter so! Super!“, brülle ich im Vorbeifahren besinnungslos und hebe den Daumen, denn der Gemeinte ist auf jeden Fall der Oberclown: Liebe Kinder, wählt die SPD! Er ist die ungeschminkte Wahrheit. Wie auf seinem persönlichen Kreuzweg zieht der ernste Clown, der den Jungwähler nicht der NPD überlassen will, auf seinem Bollerwagen zwei Spaßmacher durch Kreuzberg und scheißt auf all das falsche Getue, das die Erwachsenen Würde nennen und das doch nichts anderes ist als eitel Maske. Wenn sie ihn wählen, dann sollen sie das nicht wegen seines Äußeren tun, sondern trotzdem – da scheint er rigide, denn „keinen ließ der Clown/in sein Herz hineinschau’n“ (Heinz Rühmann). Auch andere besangen den tragischen Helden im traurigen Clown, von den „Kinks“ („Death of a Clown“) bis hin zu Wolf Maahn: „Der Clown hat den Blues“.

Bis auf die beiden Kollegen ist Björn Eggert ganz allein. Das Wahlvolk folgt ihm noch nicht so, wie es soll, aber vielleicht ist ihm das auch egal – Wolf Maahn hierzu weiter: „Die Zeit der Verlierer wird kommen, war das Motto / und er war immer der Prophet.“

ULI HANNEMANN