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Archiv-Artikel

Wenn Sisi an die Klassenzimmer klopft

Aufruhr in Bayern: Weil dem Land Lehrer mit guten Noten fehlen, wirbt Schulminister Schneider (CSU) österreichische Grundschulpädagogen an. Die Basis ist stinksauer. Zum Trost sollen die schwächeren Grundschulbewerber nun in den ersten Klassen der Gymnasien unterrichten dürfen

Es kann nicht sein, dass österreichische Bewerber mit kurzer Ausbildung so behandelt werden wie bayerische mit langer

AUS MÜNCHEN MAX HÄGLER

Wie schaut der Stammbaum von Kaiserin Sisi aus? Wer ist Österreichs erfolgreichster Skispringer? Welche Zuflüsse hat die Donau rund um Wien? Kein Ahnung? Klar, denn das ist Sachkundewissen aus der rot-weiß-roten Alpenrepublik und nicht Pflichtprogramm an deutschen Schulen. Doch bayerische Schüler müssen das künftig vielleicht ein bisserl pauken – ab kommenden Schuljahr, das heute beginnt, unterrichten an den Schulen des Freistaats mehr als 100 österreichische Lehrer, darunter 49 Grundschulpädagogen.

Die Aufregung über den Lehrer-Import ist groß im Freistaat. Schließlich müssen zugleich 518 fertig ausgebildete deutsche Grundschullehrer draußen bleiben – wegen schlechterer Noten. Schuld daran ist eine EU-Richtlinie, die vorschreibt, dass Hochschulabschlüsse innerhalb der Union von den Behörden akzeptiert werden müssen, egal an welcher Institution und in welchem EU-Land sie erworben wurden. So kommt es zu einer paradoxen Situation: Grundschullehrer aus Deutschland mit drei Jahren Hochschulstudium und zwei weiteren Ausbildungsjahren als Referendar werden von Kollegen ausgebootet, die nur halb so viel Zeit investiert haben: In Österreich reichen drei Lehrjahre an der Pädak, den pädagogischen Akademien der Länder, um in den Schuldienst zu kommen.

Natürlich habe man Vergleichsnoten gebildet, heißt es beschwichtigend aus dem bayerischen Schulministerium. Bayerische Junglehrer müssen in diesem Jahr ein Schnitt von 2,2 vorweisen, wenn sie eingestellt werden wollen, während Österreicher einen Einser-Schnitt brauchen. Anfang des Jahres war Bayerns Schulminister Siegfried Schneider (CSU) nach Wien gereist, um neue Lehrer für seine Schulen zu finden. Bereits 2005 hatte er den Landeshauptmann von Oberösterreich kontaktiert, das zu viele Lehrer hat.

Die Stimmung unter bayerischen Pädagogen ist entsprechend schlecht. Sie seien stinksauer, so Karin Leibl, Landesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Junglehrer im Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverband (BLLV). „Es kann nicht sein, dass österreichische Bewerber nach drei Jahren Studium und ein bisschen Übungsschulbetrieb so behandelt werden wie bayerische Anwärter mit einer viel längeren Ausbildung.“

Angesichts der drohenden Meuterei an Bayerns Grundschulen dachte sich Schulminister Schneider vor einigen Tagen einen beschwichtigenden Schachzug aus. Die arbeitslosen bayerischen Grundschullehrer, darunter die 518 Absolventen von diesem Jahr, dürfen aushilfsweise an den Unterstufen der Gymnasien unterrichten. Was die Grundschullehrer freut, bringt nun die Gymnasiallehrer auf die Palme: „Wer am Gymnasium unterrichtet, sollte auch die dafür notwendige wissenschaftliche Qualifikation haben“, wettert Max Schmidt, Vorsitzender des konservativen Bayerischen Philologenverbandes (bpv).

Proteste gegen das Klassendenken des bpv gibt es nicht, noch nicht einmal von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). „Wir haben nicht umsonst alle verschiedene Qualifikationen“, meint Moni Hartl, Sprecherin des Arbeitskreises „Junge GEW“. Solange die „Schule für alle“ noch auf sich warten lasse, seien die Spezialisierungen notwendig – und ein Einsatz von Grundschullehrern an Gymnasium falsch.

Im bayerischen Schulministerium weist man jede Kritik an der Personalpolitik zurück. Man müsse sich an EU-Recht halten. Zum anderen seien viele Lehrer zu wenig mobil. „Manche Leute haben gesagt, dass ihnen einen 80 Kilometer entfernter Arbeitsplatz zu weit weg ist“, schimpft Sprecher Ludwig Unger. „Das sind feste Stellen, nach A13 bezahlt, das kann doch nicht sein.“ Dass Bayern ein chaotisches Lehrer-Crossover betreibe, kann Unger nicht finden. „Gymnasien können nun lediglich zeitlich befristet Grundschullehrer als Vertretungskräfte einsetzen , diese Regelung gilt bereits für andere Fachkräfte, etwa Dolmetscher.“

In einem sind sich alle einig: An allen Schularten außer der Grundschule fehlen in Bayern Lehrer. Daher schlägt der bpv vor, statt Grundschullehrer an die Gymnasien zu verschieben, lieber gymnasiale Absolventen mit „nicht so guten Noten“ einzustellen. Doch auch diese Quelle hat das Schulministerium bereits ausgereizt. In einem Schreiben informierte das Ministerium, dass Bewerber mit einer Note von 3,5 und besser Chancen auf eine Einstellung hätten. Für Fächerkombinationen wie „Sport mit allen Beifächern“, „Latein und Beifach“ oder „Deutsch/ Englisch“ sollen gar „Einstellungszusagen“ gemacht werden. Zusätzlich schrieb das Ministerium Lehramtsabsolventen der Jahre 84 und 85 an, die damals keinen Job bekommen hatten. Doch kaum einer hatte noch Interesse am Staatsdienst.

Die ministeriellen Headhunter arbeiteten auch in die andere Richtung: Diplommathematiker, -physiker und -informatiker mit einer Abschlussnote von zwei oder besser mögen sich als Lehrer bewerben, schrieben sie an die Unis. Das Angebot war wenig verlockend: Zwei Jahre Referendariat hätten die Wissenschaftler noch vor sich. Eine Übernahmegarantie gibt es nicht.

Ein gefundenes Fressen für die Opposition. „Die langjährigen Versäumnisse der Staatsregierung in der Lehrerbedarfsplanung werden jetzt offensichtlich“, sagt Hans-Ulrich Pfaffmann, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion. Auch das elitäre Schimpfen der Gymnasien ärgert die SPD. Schließlich seien Grundschullehrer hochqualifizierte Mitarbeiter, die die dramatische Lage an den Gymnasien durchaus abfedern könnten.

Sonst bleibt nur der Rückgriff auf Pädagogen aus anderen Ländern: Schon im vergangenen Schuljahr kamen vereinzelt österreichische Lehrer in Bayern zum Einsatz, etwa die 22-jährige Ingrid Schwarz aus Wörgl in Tirol. Die Pädagogin ist als mobile Reserve an Grundschulen in Lenggries und Bad Tölz unterwegs und unterrichtet Fächer von Mathe über Deutsch bis Kunst und Ethik. „Probleme gibt es nicht, die Kinder haben sie gleich akzeptiert“, heißt es aus den Rektoraten dieser Schulen. Gut möglich, dass Schwarz bald mehr Kollegen aus dem europäischen Ausland folgen werden. Voraussetzung: sehr gutes Deutsch. Es gibt sicher reichlich Studenten in der EU, die das können. Und dann wird in Sachkunde auch einmal darüber gesprochen, wer Václav Havel war oder dass Lissabon am Vale do Tejo liegt. Schlecht ist das nicht.