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Sicher ist sicher

DOKUFILM Yoav Shamir will wissen, was es mit dem Antisemitismus auf sich hat. Für seine Doku „Defamation“ reiste er um die halbe Welt

Es zeigt sich, dass die Religiösen am wenigsten Probleme mit Judenfeindschaft haben

Ganz am Anfang seines Films spricht Yoav Shamir mit einem Taxifahrer. Shamir fragt den Mann auf Englisch: „Wissen Sie, worüber ich meinen Film mache? Über Antisemitismus.“ – „Was ist das?“, fragt der Fahrer in einem osteuropäisch klingenden Akzent zurück. „Der Hass auf Juden“, erklärt Shamir. „No way!“, ruft der Fahrer. „Die Juden kontrollieren die Welt!“ – „Wirklich?“ – „Aber sicher.“

Als Israeli kenne er Antisemitismus nicht aus eigenem Erleben, sondern nur aus der Zeitung. Das ist der Ausgangspunkt der Suchbewegung, die Yoav Shamirs Dokumentarfilm „Defamation“ beschreibt. Also macht er sich mit seiner HD-Kamera auf eine Reise um die halbe Welt, um etwas darüber herauszufinden. So naiv, wie es klingt, wird es von Shamir exerziert. Das zeitigt traurige, befremdliche, aber auch komische Momente.

Shamir begleitet eine Schulklasse aus Haifa auf ihrer Reise nach Auschwitz. Ihr Hotel wollen sie nicht verlassen, weil sie Angst vor Neonazis haben. Als sich anderntags ein paar alte Männer über die jungen Dinger amüsieren, denken die Mädchen, die Alten beschimpften sie. Es ist skurril zu sehen, wie die jungen Leute der Suggestion verfallen, man schreibe das Jahr 1942. Ihre Rektorin hat die Schüler darauf vorbereitet, „dass sie uns in Europa immer noch nicht mögen“.

Shamir besucht die Büros der Anti Defamation League in New York und sieht dessen Leiter Abraham Foxman bei der Arbeit zu. Diese besteht unter anderem darin, den Einfluss der Juden auf die Weltpolitik größer erscheinen zu lassen, als er wirklich ist – sicher ist sicher, schaden kann es nicht. Foxman überlebte den Holocaust in der Obhut seiner katholischen Kinderfrau.

Es zeigt sich, dass religiöse Juden am allerwenigsten Probleme mit Judenfeindschaft haben. Der New Yorker Rabbi Bleich etwa sieht keinen Grund für Alarm. Dabei wurde in seinem Viertel Crown Heights, wo vor allem orthodoxe Juden und Afroamerikaner zusammenleben, ein Schulbus voller jüdischer Kinder mit Steinen beworfen. Scheiben gingen zu Bruch, doch keines der Kinder wurde verletzt. Auf der Straße berufen sich junge Schwarze auf die antisemitischen „Protokolle der Weisen von Zion“, als seien sie die Bibel. Antisemitismus scheint es also da draußen tatsächlich zu geben.

Irgendwann stößt Shamir auf die Namen von Norman Finkelstein („Die Holocaust-Industrie“) sowie John Mearsheimer und Stephen Walt („Die Israel-Lobby“). Sie stehen für den Streit, an dem sich aktuell Freund und Feind scheiden: Verstecken sich die Antisemiten heute hinter „Israel-Kritik“? Oder geht es den Kämpfern gegen den Antisemitismus nur darum, Kritik an Israel zu unterbinden?

Norman Finkelstein glaubt nicht nur Letzteres. Er meint, Abe Foxman von der Anti Defamation League sei schlimmer als Hitler. Der habe seine Taten wenigstens nicht ausgeführt, um Geld zu verdienen. Finkelstein ist verbittert. Er hat seine Professorenstelle verloren. Er macht Foxman anscheinend dafür verantwortlich und ist doch auch das Opfer ebendieses Hitler. Seine Mutter hatte Majdanek, sein Vater Auschwitz überlebt.

Shamir kehrt nach Polen zurück. Dort zweifelt der Lehrer der jungen Israelis daran, ob es richtig sei, sich emotional so stark mit dem Holocaust zu beschäftigen. Erinnerung sei wichtig, aber dauernd mit dem Massenmord zu leben nicht normal. Auch Shamir hat sich ein Fazit zurecht gelegt. Es ist so naiv wie seine Fragestellung, aber auch so ehrlich. Vielleicht sei es an der Zeit, in die Zukunft zu blicken. „Defamation“ macht nicht klüger. Doch die Menschen vor der Kamera glaubt man immerhin verstanden zu haben. Wo ein ideologisches Problem den Blick ausgefüllt hat, erscheinen plötzlich Leute mit ihren Geschichten, Ängsten und ihrer Unbekümmertheit. Das ist die eigentliche Botschaft Shamirs: Bleibt locker, Leute, und hört erst mal zu. ULRICH GUTMAIR

■ „Defamation“. R.: Yoav Shamir. Israel/Dänemark 2009, 93 Min.

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