: Gestrichene Gegenkultur
Der vorbestrafte Medienunternehmer Michael Kölmel (Kinowelt) übernimmt mit „Zweitausendundeins“ nicht irgendein Versandhaus – sondern ein Relikt der Achtundsechziger
VON CLEMENS NIEDENTHAL
Ganz kurz nur war man empört, vor einer Reihe von Billy-Regalen, von denen mindestens ein halbes einzig mit den Bestellungen aus dem Versandhaus der Gegenkultur gefüllt war. Ulf Poschardts „Anpassen“, die „Short Cuts“-Reihe oder der großartige Katalog zur documenta IX. Daneben all die Bücher für eine Mark und später einen Euro, die man nie gelesen, sondern immer nur mitgenommen hatte. Weil man denen irgendwie vertraut hat. Schließlich haben sie auch mich, den später Geborenen, ein wenig sozialisiert. Poststrukturalismus? Mal sehen, was Zweitausendeins dazu einfällt. Cool Jazz? Auf Vinyl und für 4,99. Weihnachtsgeschenke? Na, wo wohl!
Man war empört und wusste nicht recht, warum. Der alte Reflex vielleicht, der immer dann aufkommt, wenn ein Großer einen Kleinen schluckt. Wenn die Gesetze des Marktes wieder zugebissen haben. Als sich die amerikanische Counterculture-Eiscreme Benn&Jerrys der feindlichen Übernahme nicht mehr erwehren konnte oder wollte, fühlte man sich ja auch irgendwie betroffen. Genauso fühlte man nun vor den Billy-Regalen. Das war, man muss es wohl so nennen, ein weiterer Triumph der Geschäftsidee von Zweitausendeins. Denn die guten Menschen mit den guten Büchern wollten nicht weniger als unsere Seelen. Wir hatten sie dafür ins Herz geschlossen. So sehr, dass uns die Meldung aus dem Wirtschaftsteil genau dort, im Herz nämlich, berührt: „Der Gründer der Leipziger Kinowelt, Michael Kölmel, und sein Bruder Rainer haben den Versand übernommen.“
Ändern wird sich zumindest in den Regalen der zwölf Filialen und auf den Seiten des legendären „Merkhefts“ wahrscheinlich wenig bis nichts. Dafür war die Idee hinter Zweitausendeins einfach zu genial. Und ihre Umsetzung zu gründlich durchdacht.
Als erstes deutschlandweit agierendes Konsumangebot verkörperte Zweitausendeins jene beiden Werte, die sich immer deutlicher als die Grundfeste eines spätmodernen Konsumverhaltens herauskristallisieren: eine emotionale Kundenbindung, die zunächst und später immer weniger auch eine intellektuelle Geschäftsbeziehung war, und das schlichte, aber überzeugende Argument der kleinen Preise. Dass Distinktion so billig zu haben ist, auch das ist eines der großen Versprechen von Zweitausendeins an ihre Bourdieu-geschulte Klientel – mit denen man im vergangenen Jahr einen Umsatz von 40 Millionen Euro erwirtschaftet hat.
Etwa eine Million Bundesbürger sind nach Unternehmensangaben regelmäßige oder gelegentliche Versandkunden. Die Bücher der Verlage Maerz, Rogner & Bernhard oder Haffmanns werden längst exklusiv über Zweitausendeins vertrieben. Dazu kommt ein umtriebiger, aber wenig wählerischer Handel mit Spielfilm-DVDs, den der neue Chef Michael Kölmel nun genauso ausbauen möchte wie die Aktivitäten der Firma im Internet: „Hier finden zwei Partner zusammen, deren Profile am Markt auf eine im Kern gemeinsame, anspruchsvolle Zielgruppe zugeschnitten sind.“
Und trotzdem war die 1969 von Lutz Kroth und Walter Treumann gegründete Verlags- und Buchhandelsfirma immer so etwas wie das Kaufhaus der Bewegung. Ein Kramladen der Gegenkultur und ein Synonym für die Tatsache, dass gesellschaftliche Transformationen im Sog der Studentenbewegung vor allem unser Konsumverhalten revolutionierten.
Zweitausendeins war eine dieser Inseln eines flüchtig-linken Hedonismus, wahrscheinlich war es die größte von ihnen. Stilprägend für eine Epoche, wie es etwa die guten Dinge von Manufaktum für die Besserverdienenden-Sehnsüchte der neuen Mitte waren.
Und deshalb steckt eine gewisse Brisanz gerade in der Figur des Michael Kölmel, der über den Kaufpreis für das Gegenkulturkaufhaus im Übrigen Stillschweigen vereinbart hat. Nicht nur, dass die Leipziger Staatsanwaltschaft gerade gegen den Multiunternehmer ermittelt. Von Subventionsbetrug beim Bau des von Kölmel betriebenen Veranstaltungskomplexes Arena Leipzig ist die Rede. Seit 2004 ist Kölmel vorbestraft – Untreue und Insolvenzverschleppung im Zusammenhang mit dem Konkurs seiner Münchener Kinowelt AG.
Wirtschaftskriminelle aber dürften dem typischen Zweitausendeins-Kunden mindestens suspekt sein. Michael Kölmel ist niemand, an den man sein Herz hängen möchte. Vielleicht also waren wir doch ganz zu recht entsetzt, vor unserem Billy-Bücherregal.