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Archiv-Artikel

It’s a Family Affair

Von der Studentenbutze zum Viererbetrieb: Planet Rock, Christoph Linders kleine Konzertagentur für elektronische Seltsamkeiten, feiert 10. Geburtstag

„In Berlin herrschen Überangebot und Nerdpublikum – da kriegt man die Krise“

VON RENÉ HAMANN

Christoph Linder, Gründer und Hauptbetreiber der Konzertagentur Planet Rock, Schaltzentrale für selten gehörte Musik seltsamer Acts auf selten großen Labels, könnte auch ein Magnat sein. Der Beherrscher seines wenn auch kleinen Reichs. Auf die Idee, sich selbst in denMittelpunkt zu stellen, kommt er aber nicht. Für ihn und seine Arbeit als Vermittler zwischen den weit verstreuten Welten und Zeiten seiner Künstler und Plattenfirmen ist es wichtig, bodenständig und persönlich zu bleiben.

Also auch kein Wunder, dass er zum Gespräch auch seine Truppe um sich schart: Von Co-Chef Markus Kritzokat über die aus Kanada eingeflogene Karina Griffith, die in ihrer Heimat ein kleiner Fernsehstar ist und hierzulande lieber Projekte hinter der Kamera macht, bis zur frisch aus Lüneburg hinzugekommenen Praktikantin Anja Hitze. Und es ist nicht so, dass die drei hinter Linder untergehen würden, nein, sie reden munter mit. Dazu gibt es Kaffee, allerdings ohne Zucker, und Kuchen. Die Büroräume befinden sich in der Pappelallee, schicke Gegend. Nichts fliegt herum, die Schreibtische sind sauber – ob speziell herausgeputzt oder immer so, Planet Rock ist ein ordentlicher Planet. Der übrigens wegen Afrika Bambaataa so heißt und nicht wegen Led Zeppelin.

Am Anfang, vor genau zehn Jahren also, saß Linder noch ganz allein in seiner Studentenbutze im beschaulichen Konstanz am Bodensee und buchte Lesungen und Konzerte. David Toop, bekannter Musikjournalist und Autor („Rap Attack“), war sein erster großer Name. Nach Ende des Studiums beschloss Linder, es professionell zu versuchen – und zog dem Hauptstadthype hinterher. „Es ist fast ein wenig schade“, findet Kritzokat, „dass alles hierhin zieht. Man sollte mal Gegenstädte machen. Kleine. Das wäre gut für Deutschland.“ Noch aber kommt alles – auch Planet Rock. Was man als Zugezogener gut kennt: Die Anfangszeit in der neuen Stadt ist nicht einfach. Auch Linder war nahe dran, das Buchen komplett hinzuschmeißen. „Ist man aber einmal in der Musik“, fügt er hinzu, „kommt man nicht mehr so einfach da raus.“ Berlin zeigte sich als Idylle fürs Arbeiten mit Kontakten, und Linder gab die Aussteigerüberlegungen dran. Seitdem läuft es ganz okay.

Aber trotz kleiner Erfolge ist das Überleben im Ozean der Seltsamkeit kein Leichtes. Bei Planet Rock denkt man global und agiert auch so. „Wir sind an der Grenze von dem, was wir leisten können“, sagt Linder. „Finanziell gesehen ist es immer ein Kampf. Manchmal ist das frustrierend.“ In Zahlen: Linder macht einen Full-Time-Job, Kritzokat einen halben. Jede weitere Hilfe wird dankbar angenommen, wie jetzt die von Griffith und Hitze. Die Agentur vertritt zur Zeit 24 Acts, sie organisiert weltweit ungefähr 250 Konzerte und Festivals im Jahr. Expansionsgedanken gibt es nicht, wie gesagt, bodenständig und persönlich soll es bleiben.

Planet Rock kümmert sich um Musik zwischen elektronisch und experimentell, gängige Gitarrenmusik wird nicht gemacht. Nicht das einfachste Programm also. Die betreuten Labels heißen zum Beispiel Staubgold, Sonig, Cockrockdisco, die Künstler Jason Forrest (durch Gerichtsbeschluss nur noch Ex-Donna Summer), Duran Duran Duran und Gustav, die Wienerin, die letztes Jahr mit dem Album „Rettet die Wale“ erfolgreich war. Sie alle beherrschen das Spiel mit den Namen und falschen Referenzen genauso souverän wie Planet Rock, die Bookingagentur, die auf Gitarrenmusik pfeift.

Und wie ist es mit Konzerten in der Stadt? „In Berlin herrscht ein Überangebot, da kriegt man schnell die Krise“, sagt Karina. „Man hat hier oft ein Nerd-Publikum, das alles schon mal gesehen hat. Die reine Langeweile. 200 Zahlende, die nur stehen, gähnen und diskutieren“, beklagt sich Kritzokat. Die Begeisterung müsse man sich woanders abholen – zum Beispiel auf einem Festival in Riga.

Die Krise der elektronischen Musik sei auch eine ästhetische, meinen Linder und Kritzokat unisono: Niemand will mehr vor Bildschirmen wippende Nasen sehen. Jason Forrest kann da Vorbild sein: Trotz seiner wenigen Haare, dem Bauchansatz und dem Laptop macht er auf der Bühne auf Rockshow. Mit Tourbussen und Instrumentenparks hat Planet Rock also nichts zu schaffen – und zum Glück halten Billigflieger die Kosten niedrig.

Zum zehnjährigen Agenturgeburtstag spielen am Sonntag die beiden „Lieblingskünstler“ Forrest und Gustav im neu eröffneten Ballhaus Naunynstraße, anschließend legen die „Lieblingsveranstalter“ von Goldmund „halbseidenen Hiphop und ko(s)mischen Folk“ auf. Christoph Linder und seine Truppe werden sich feiern lassen, vermutlich aber im stillen Hintergrund. Für den Lärm sind schließlich die anderen da.

10 Jahre Planet Rock, Sonntag, 17. 9., 20 Uhr, Ballhaus Naunynstraße