John Bocks Medusa etc. : Häufchenmacher
Als die Fregatte Medusa am 2. Juli 1816 vor der Küste Afrikas auflief, retteten sich rund 150 Passagiere auf ein Floß. Zwölf Tage später aufgefunden, hatten Meuterei und Kannibalismus die Zahl der Überlebenden auf 15 Menschen reduziert. Der Vorfall gab dem Maler Théodore Géricault Anlass für sein berühmtes Gemälde „Das Floß der Medusa“, das Jahrzehnte später, wie bei Dolf Sternberger nachzulesen, gerne als Kopie hinter den Schreibtischen der Gründerzeitspekulanten hing. Nicht anders als die heutigen Aufsteiger arbeiteten und repräsentierten auch die damaligen gerne mit dem Rücken zur Kunst; völlig anders aber besaßen sie genügend Selbstironie, sich zu ihrer Menschenfresserei zu bekennen. Lang ist’s her.
Jetzt hat John Bock, 1965 in Schleswig-Holstein geboren, einer dieser harmlosen ältlichen Jungs vom Abenteuerspielplatz, einer jener betulichen Häufchenmacher, die der internationale Kunstbetrieb derzeit so gerne feiert, die Medusa entdeckt. Nur, warum? Darüber war am Donnerstagabend bei der Uraufführung seiner Performance „John Bocks Medusa im Tam Tam Club“ – gefördert von der Staatsoper unter den Linden, der Thyssen-Bornemisza Art Contemporary und der Bundeskulturstiftung – nichts in Erfahrung zu bringen. Eine senkrecht im Magazin der Staatsoper hängende, ausgediente Bullenwanne diente als Floß, in der oder auf dem der Künstler und ein paar Schauspieler kleine Ministunts und große Volksreden ablieferten, dokumentiert auf einer Videoleinwand. Zwischendurch verdrießte die Koblenzer Band Blackmail mit einer langweiligen, superkitschigen Pseudo-Goth-Mucke, deren Libretto mit Alltime-Lyric-Hits wie „You Make Me Feel Like …“ glänzte. Huch! Woher nur stammt die Fama, John Bocks nervös-depperte Vorträge hätten trotz ihrer zäh-linearen, absolut vorhersehbaren Abfolge von Worte kotzen, Würstchen scheißen und Gammelfleisch beklagen gesteigerten Unterhaltungswert? Am meisten aber desillusioniert, dass dies womöglich die Kunst ist, die heutige Menschenfresser wie etwa Hedgefondsmanager lieben. Oh, no.
BRIGITTE WERNEBURG