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Archiv-Artikel

„Freie Information ist wichtig“

Ali Yildirim

„Einmal wurde unser Büro überfallen. Glücklicherweise hatten wir einen Mitarbeiter, der Karate konnte. Aber solche Bedrohungen machen mir gar nichts aus. Bis heute ist es unseren Gegnern nicht gelungen, unsere Arbeit zu stoppen“„Wir haben mittlerweile über 3.000 Kassetten. Und ich archiviere alles, was ich zum Thema Migration finden kann. Irgendwann werde ich es in einer Art Cyber-Museum im Internet zugänglich machen. Wenn ich dazu Zeit habe“

Der türkisch-deutsche Fernsehsender Aypa-TV aus Berlin ist laut Guinness-Buch der Rekorde der „kleinste Fernsehsender der Welt“. Seit fast 15 Jahren dokumentiert dessen Erfinder Ali Yildirim (55) mit seiner Mitarbeiterin Claudia Dantschke das Leben der türkischen Zuwanderer in Berlin. Unabhängigkeit war immer seine wichtigste Prämisse. 1970 kam Yildirim zum Studium nach Berlin. 20 Jahre später wurde er Journalist, weil ihm die gängige Berichterstattung nicht ausreichte. Ali Yildirim hat mittlerweile ein einzigartiges Archiv der türkeistämmigen Einwohner Berlins gesammelt. Langfristig will er seine Sammlung im Internet frei zugänglich machen

INTERVIEW ALKE WIERTH

taz: Herr Yildirim, seit fast 15 Jahren sind Sie auf beinahe jeder Veranstaltung mit, von oder über MigrantInnen aus der Türkei in Berlin mit Ihrer Kamera dabei. Was treibt Sie um?

Ali Yildirim: Als ich 40 war, habe ich auf einmal beschlossen, Journalist zu werden. Eigentlich war ich ja Druckingenieur und beeidigter Dolmetscher. Aber es gefiel mir nicht, was die türkischen Journalisten, die damals in Berlin tätig waren, machten. Das war so eine Art Hofberichterstattung. Oft wurde der Text sogar von den Redakteuren in der Türkei geschrieben. Investigativen Journalismus gab es hier fast überhaupt nicht. Ich war begeistert von Ugur Mumcu, der damals für die linksliberale türkische Tageszeitung Cumhuriyet schrieb. Er hat wirklich recherchiert und aufgeklärt. Das wollte ich ihm nachmachen.

Ihr journalistisches Vorbild lebt längst nicht mehr: Ugur Mumcu wurde 1993 in der Türkei mit einer Autobombe getötet. Religiöse Extremisten wurden als Täter verurteilt. Haben Sie auch Bedrohungen erlebt?

Zigmal. Es wurde beispielsweise in einer Live-Sondersendung des Fernsehsenders der islamistischen Organisation Milli Görüs gegen mich gehetzt. Ich hatte diesen Sender damals in der deutschen Öffentlichkeit als Milli-Görüs-Sender geoutet. Den ZuschauerInnen wurde in der Sendung fast eine Stunde lang erklärt, wie schlimm ich sei. Unter anderem damit, dass ich mich beim Spreekanal, auf dem Aypa-TV sendet, dafür ausgesprochen hatte, dass auch Homosexuelle eine Sendelizenz erhalten sollen. Später hat mich Milli Görüs mit Polizeigewalt von einer Veranstaltung im Willy-Brandt-Haus hinauswerfen lassen, obwohl ich eine Einladung hatte. Einmal wurde unser Büro überfallen, von jemandem, der seiner äußeren Erscheinung nach eindeutig ein radikaler Islamist war. Glücklicherweise hatten wir zu der Zeit einen Mitarbeiter, der Karate konnte. Aber solche Bedrohungen machen mir gar nichts aus. Bis heute ist es unseren Gegnern nicht gelungen, unsere Arbeit zu stoppen.

Gehen wir noch mal zurück zum Beginn Ihrer journalistischen Arbeit. Wie haben Sie es angefangen?

Zuerst habe ich das Berliner Büro der türkischen Tageszeitung Milliyet übernommen, das war 1990. Wir haben einmal in der Woche eine Berlin-Seite gemacht. Dann bezahlte ein Anzeigenkunde der Milliyet, ein türkischer Fernsehsender in Berlin, seine Schulden nicht. Ich war damals beinahe täglich dort, um dieses Geld einzutreiben, ungefähr 6.000 Mark immerhin. Dabei habe ich gesehen, mit wie wenigen Mitteln man Fernsehen machen kann. Die hatten zwei Kameras und zwei Rekorder und haben jeden Tag eine Sendung gemacht. Da habe ich mir gesagt: Das kann ich auch, und bestimmt nicht schlechter.

Dann haben Sie das Medium gewechselt?

Ich hatte anfangs eine Kamera und keine Mitarbeiter. Bei dem türkischen Sender, der mir Geld schuldete, hatte ich eine Mitarbeiterin kennen gelernt, die dort sehr unzufrieden war. Der Sender konnte nicht nur seine Anzeigenkosten, sondern auch seine Angestellten nicht bezahlen. Ich habe sie gefragt, ob sie mit mir zusammenarbeiten will, denn ich wollte auf Deutsch senden, für alle Berliner. Als Gehalt habe ich angeboten ihr „doppelt so viel gar nichts“ zu zahlen. Sie war einverstanden. Das war übrigens Claudia Dantschke, mit der ich bis heute zusammenarbeite. So wurde aus dem Milliyet-Redaktionsbüro gleichzeitig das Aypa-Studio. Anfangs haben die Milliyet-KollegInnen mitgeholfen, aber irgendwann waren Aypa nur noch Claudia und ich. Weil man mit zwei Leuten nicht viel machen kann, haben wir die Veranstaltungen, bei denen wir waren, immer ganz aufgenommen und längere Beiträge von 15 bis 30 Minuten daraus gemacht. Es zeigte sich schnell, dass diese ausführliche Behandlung von Themen bei den ZuschauerInnen gut ankam.

Ohne Zwischenmoderationen oder Kommentierungen?

Wir haben von Anfang an so gesendet, wie es heute beispielsweise Phönix macht. Wir nehmen jede Veranstaltung immer von Anfang bis Ende auf. Dann fassen wir die wichtigsten und interessantesten Stellen zusammen, ohne den Inhalt zu verzerren. Wir überlassen es dem Zuschauer, sich ein Bild zu machen. Er soll sich selbst eine Meinung bilden. Wir führen nur in das Thema ein. Und wenn es uns wichtig erschien, haben wir auch kommentiert, ausführliche Interviews geführt und durch eigene Recherchen ergänzt.

Mittlerweile gibt es so viele Veranstaltungen zum Thema Migration, dass Sie längst nicht mehr überall dabei sein können. Wie wählen Sie denn aus, wo Sie hingehen?

Wir versuchen immer noch, überall zu sein, wo irgendetwas Multikulturelles stattfindet. Oft hören wir von Veranstaltungen, von denen andere Journalisten nichts wissen. Die gehen für uns dann natürlich vor. Wir senden nicht mehr alles selber, sondern arbeiten mittlerweile mehr als Presseagentur. Wir beliefern große TV-Sender mit Bildmaterial, Nachrichten- und Politmagazine von Tagesschau und Tagesthemen bis Panorama, Frontal 21 oder Spiegel-TV. Auch ausländische Teams haben bereits bei uns gekauft. Wir waren beispielsweise als einzige Fernsehjournalisten auf den Veranstaltungen der islamistischen Hizb ut-Tahrir in der TU. Da waren 200 bis 400 Teilnehmer. Aber niemand interessierte sich dafür, kein TV-Journalist war da. Bei einer dieser Veranstaltungen waren auch der Rechtsextremist Horst Mahler und Udo Voigt von der NPD da. Das war gut, denn sonst hätte sich wahrscheinlich auch weiter keiner für diese Gruppe interessiert. Aber dann wollten alle großen Redaktionen unsere Bilder und das Thema bekam so eine Brisanz, dass kurz darauf ein Betätigungsverbot für die Gruppe ausgesprochen wurde.

Genau weil Sie solche Dinge an die Öffentlichkeit bringen, sind Sie mit Ihrer Kamera nicht überall willkommen.

Wir haben gleich mit unserer allerersten Sendung klargemacht, was wir wollen. Kurz vor dem ersten Sendetermin von Aypa-TV war Ugur Mumcu umgebracht worden. Drei Monate vorher war er noch in Berlin gewesen. Wir haben in unserer ersten Sendung am 27. Februar 1993 die Rede, die er bei diesem Besuch gehalten hatte, wiedergegeben. Damit war klar, wo wir journalistisch und politisch stehen. Wir haben aber bei unserer Arbeit immer mit offenen Karten gespielt. Wir haben beispielsweise nie Geheimaufnahmen gemacht.

Trotzdem wurde immer wieder gegen Sie prozessiert.

Ja, wir haben es zeitweise mit zwölf Klagen gleichzeitig zu tun gehabt. Das hatte vor allem mit einer Broschüre über islamistische Organisationen zu tun, die Claudia Dantschke und ich gemeinsam mit Eberhard Seidel, der damals bei der taz war, geschrieben haben: „Politik im Namen Allahs“. Unsere Gegner haben damals immer im Abstand von ein bis zwei Wochen einen Satz aus der Broschüre oder auch aus Veröffentlichungen von mir aus der Aypa-Homepage herausgenommen und dagegen Klage erhoben. Da wir alles, was wir geschrieben hatten, mit unseren Aufnahmen beweisen konnten, haben wir alle Verfahren gewonnen. Doch zogen unsere Gegner immer wieder vor die nächsthöhere Instanz. Sie wissen, dass der damit verbundene Aufwand von Zeit und Geld für uns schwer zu bewältigen ist. Es dauerte über zwei Jahre, bis ich mithilfe meines Anwalts Johannes Eisenberg all diese Verfahren erfolgreich abwehren konnte.

Ihre Gegner stammen überwiegend aus dem religiösen Lager. Haben Sie eigentlich etwas gegen Religion, gegen den Islam?

Überhaupt nicht. Ich habe nur etwas gegen die, die Religion für politische Zwecke missbrauchen und lügen. Ich lege mich ja auch mit nichtreligiösen Organisationen an, wenn sie Mist bauen. Ich habe beispielsweise veröffentlicht, dass die Türkische Gemeinde Deutschland vor mehreren Jahren ihre Delegiertenversammlung als Seminar tarnte, um sie mit öffentlichen Fördermitteln finanzieren zu können. So etwas ärgert mich. Immerhin sind das auch meine Steuergelder. Und es gibt so viele Projekte, die ehrliche Arbeit machen und keine Förderung bekommen. Die TGD hat fast 30.000 Mark zurückzahlen müssen, und mancher dort ist seither auch nicht gerade gut auf mich zu sprechen.

Alles in allem genießen Sie unter den türkeistämmigen BerlinerInnen aber großen Respekt – und Sie kennen nahezu jeden davon.

Das liegt daran, dass wir fair sind. Wir nehmen auf und senden, was wir aufgenommen haben. Wir verzerren oder entstellen nichts. Auch wenn wir Filmmaterial verkaufen, arbeiten wir nur mit solchen Redaktionen zusammen, die unsere Bilder nicht missbrauchen, um Inhalte verzerrt wiederzugeben. Wer das tut, bekommt keine Bilder mehr von uns.

Und Sie haben alle Aufnahmen, die Aypa je gemacht hat, aufbewahrt?

Ja. Wir haben mittlerweile ein Archiv, das ungefähr 25 Quadratmeter Video- und Filmaufnahmen umfasst. Das sind über 3.000 Kassetten, Originalaufnahmen und Sendekassetten. Aber ich archiviere auch sonst alles, was ich zum Thema Migration finden kann: Zeitungsartikel, Bücher, einfach alles. Irgendwann werde ich es in einer Art Cyber-Museum im Internet zugänglich machen. Wenn ich dazu Zeit habe.

Sie arbeiten auch als Dolmetscher, als Dozent an der Volkshochschule Neukölln sowie ehrenamtlich in einigen Vereinen vor allem in Ihrem Heimatbezirk Spandau, wo Sie zudem Vorsitzender des Integrationsbeirates sind. Sie betreuen die Webseite der AbsolventInnen der Deutschen Schule in Istanbul und wollen daraus demnächst eine Seite für alle deutschen Auslandsschulabgänger machen. Außerdem arbeiten Sie noch an einer Internetseite, die ein „Who’s who“ der türkischen Migranten in Deutschland werden soll. Schlafen Sie auch mal?

Wenn ich Langeweile habe, arbeite ich ein bisschen an der Gutenberg-Webseite mit, auf der Werke der Weltliteratur für jedermann frei zugänglich ins Internet gestellt werden. Zum Schlafen bleibt tatsächlich nur wenig Zeit, am Tag komme ich so mit drei bis vier Stunden Schlaf zurecht. Ich würde mich an dieser Stelle gerne mal bei meiner geliebten Frau Hülya bedanken. Ohne deren Unterstützung und Geduld ginge das alles nicht, hätte es auch Aypa-TV nie gegeben.

Wären Sie noch ein Kind, würde man Sie vermutlich als hyperaktiv einstufen. Sind Sie das?

Nein. Ich bin ein ziemlich ruhiger und gelassener Mensch. Aber irgendjemand muss das ja machen. Freier Zugang zu Informationen ist sehr wichtig.

Yildirims Sender findet man im Internet unter aypa.de. Die Istanbuler Absolventen unter Deutsche-Schule.de. Das „Who’s who“ der türkischen Migranten unter Kim-Kimdir.de. Und die Gutenberg-Webseite unter www.gaga.net.