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Archiv-Artikel

Neue Farbenlehren in Berlin

Wahlgewinner bei der gestrigen Wahl sind Grüne und Nichtwähler. Wem aber soll man beide zuschlagen? Dem linken oder dem bürgerlichen Spektrum? Ein erster Überblick

Zwei Drittel der Wähler haben bei der gestrigen Wahl zum Abgeordnetenhaus links gewählt. Zumindest, wenn man die alte Farbenlehre zugrunde legt. Demnach kommen SPD, Grüne, PDS und WASG auf mehr als 60 Prozent. Dagegen erodiert das bürgerliche Lager weiter. CDU und FDP erzielen zusammen kaum 30 Prozent. Muss Bundeskanzlerin Merkel also Angst vor ihrer Hauptstadt haben?

Vielleicht nicht so sehr, wenn man die alte Farbenlehre über den Haufen wirft und die Grünen einmal dem bürgerlichen Lager zuschlägt. Dies legt zumindest die Verteilung des grünen Wahlerfolgs in den Bezirken nahe. So kommt die Partei von Franziska Eichstädt-Bohlig in Steglitz-Zehlendorf auf knapp 16 Prozent. Vor fünf Jahren waren es noch 11,6 Prozent.

Doch nicht nur im bürgerlichen Milieu des Westens legen die Grünen zu, sondern auch im westlich gewordenen Osten. Im Großbezirk Pankow erzielen die Grünen das gleiche Ergebnis wie in Charlottenburg. In Prenzlauer Berg gibt es ohnehin schon Kreuzberger Verhältnisse. Selbst in Treptow-Köpenick kommen Bündnis 90/Die Grünen inzwischen auf 7 Prozent. Kein Wunder, dass die bürgerliche Alternative zur alten bürgerlichen Partei im Osten (CDU) aufgeschlossen hat. Beide liegen um 11 Prozent.

Legt man die Gewinne zugrunde, haben aber nicht die Grünen die Wahl gewonnen, sondern die Nichtwähler. Mit knapp 60 Prozent Wahlbeteiligung wurde auch in Berlin ein Rekordtief erreicht. Vor fünf Jahren waren noch 68,1 Prozent der Berliner zu den Wahlen gegangen. Doch das Spektrum der Nichtwähler ist recht unterschiedlich. So hat die Linkspartei.PDS offenbar ebenso an die Wahlverweigerer verloren wie die CDU. Beiden Parteien war es nicht gelungen, ihre Klientel zu mobilisieren. Dagegen hat der SPD die niedrige Wahlbeteiligung weniger geschadet als vermutet.

Die gestrige Wahl konnte auch mit einer Überraschung aufwarten. Die betraf weniger die WASG und die NPD, die wie erwartet nicht ins Abgeordnetenhaus einzogen, sondern die Partei „Die Grauen“. Die inzwischen personell verjüngte Seniorenpartei kam mit knapp 4 Prozent der Stimmen überraschend dicht an die Fünfprozenthürde heran. In vielen Bezirksparlamenten dürften die Grauen künftig vertreten sein. UWE RADA