Kein unbeschwertes Plaudern mehr
Humanistische Union gegen vorsorgliche Speicherung aller Telekom-Daten: „Die Unbefangenheit der Kommunikation ist beeinträchtigt“, wenn man weiß, dass die Verbindung gespeichert wird. FDP-Politiker Hirsch kündigt Verfassungsklage an
AUS FREIBURG CHRISTIAN RATH
„Es darf nicht sein, dass 450 Millionen Europäer pauschal als Verbrecher verdächtigt werden“, kritisiert Rosi Will, die Bundesvorsitzende der Humanistischen Union (HU). Die altehrwürdigen Bürgerrechtler der HU beschlossen am Wochenende in Freiburg eine Kampagne gegen die von der EU vorgeschriebene Vorratsspeicherung aller Telekom-Daten. Falls der politische Druck keinen Erfolg hat, will die HU am Ende eine Verfassungsbeschwerde gegen das deutsche Umsetzungsgesetz einlegen.
Die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung war im Frühjahr dieses Jahres beschlossen worden. Bis September 2007 muss sie vom Bundestag in deutsches Recht umgesetzt werden. Telefon- und Internetanbieter sind dann verpflichtet, mindestens ein halbes Jahr zu speichern, wer mit wem wie lange telefoniert hat. Zu speichern ist auch, wer wem wann eine E-Mail oder SMS geschrieben hat und wer wie lange im Internet gesurft hat. Zu Abrechnungszwecken liegen diese sogenannten Verkehrsdaten bei den Firmen teilweise heute schon vor. Der Kunde kann aber auf die Speicherung verzichten, und vor allem kann er auf Prepaid-Karten oder Pauschal-Tarife (Flatrates) ausweichen, die keine Speicherung der Verkehrsdaten erfordern.
„Diese Vorratsspeicherung verstößt eindeutig gegen europäisches und deutsches Verfassungsrecht“, erklärte HU-Vorstandsmitglied Nils Leopold beim HU-Verbandstag. „Der Staat darf Daten nicht einfach ins Blaue hinein sammeln, nur weil sie in Zukunft mal für die Strafverfolgung interessant sein könnten“, so Datenschützer Leopold. „Die Unbefangenheit der Kommunikation ist beeinträchtigt, wenn man bestimmte Leute nicht mehr anruft, aus Angst, dass das gespeichert wird“, ergänzt Rosi Will, Rechtsprofessorin aus Berlin. Auch ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags sah im August „erhebliche Bedenken“ gegen die EU-Richtlinie.
Für die Polizei sind die Verkehrsdaten interessant, um „Kommunikationsnetze“ zu entdecken. So soll künftig besser aufgeklärt werden können, wer an der Vorbereitung eines Anschlags beteiligt war. Bei Mobiltelefonen wird auch der Standort festgehalten, sodass nachträgliche Bewegungsbilder möglich sind. Der Inhalt der Telefonate und E-Mails sowie die im Internet angeklickten Seiten sollen allerdings nicht vorsorglich gespeichert und protokolliert werden.
Einen potenziellen Kläger haben die Bürgerrechtler bereits gefunden: der Altliberale Burkhard Hirsch, der von der HU am Wochenende mit dem renommierten Fritz-Bauer-Preis ausgezeichnet wurde. „Es geht niemand etwas an, wen ich gerade mit meinem Mobiltelefon anrufe“, sagte er zur taz. Er werde die Sache zum Verfassungsgericht tragen. Das sollte die Bundesregierung aufhorchen lassen. Mit seinen letzten Klagen in Karlsruhe hatte Hirsch Erfolg – der große Lauschangriff musste eingeschränkt werden, und das Luftsicherheitsgesetz, das den Abschuss entführter Passagierflugzeuge erlaubte, wurde kassiert.