„Als Skaterin ist man anscheinend keine richtige Frau“

DIE SKATERIN Anna Groß fährt seit 16 Jahren Skateboard, war dabei oft nur von Männern umgeben und organisiert heute den einzigen deutschen Skate-Contest für Frauen. Ein Gespräch über Sexismus im Sport, Nacktfotos mit Brett im Arm und die Freiheit, sich dreckig zu machen

■ 35, skatet seit 16 Jahren. Sie ist in Duisburg aufgewachsen. 2001 kam sie nach Berlin, heute lebt sie mit ihrem vierjährigen Sohn in einer WG in Neukölln.

■ Außer mit dem Skateboard ist sie auch gern auf anderen Brettern unterwegs: im Winter auf dem Snowboard, im Sommer beim Surfen. Mit dem Verein cultures interactive macht sie seit 2002 Workshops für Jugendliche. Seit 2011 organisiert sie zusammen mit Mitstreiterinnen den einzigen Skate-Contest Deutschlands nur für Frauen, „Suck my trucks“. Sie ist Mitgründerin des Vereins Betonkultur, der auch mehr Frauen aufs Skateboard bringen will.

■ Anna Groß hat an der Humboldt-Universität Kultur-, Musik- und Nordamerikawissenschaften studiert. Neben dem Skaten gilt ihre Liebe der Musik: Sie spielt Violine, derzeit allerdings nur privat. Daneben interessiert sie vor allem Rap – in Südafrika hat sie zu Rap-Texten auf isiZulu, der Sprache der Zulu, geforscht. Zusammen mit Kollegen hat sie sich vor drei Jahren selbstständig gemacht: Ihr Label Springstoff vertreibt „politische Musik“ aus aller Welt und organisiert Veranstaltungen und Konzerte mit internationalen KünsterInnen: www.springstoff.de (js)

INTERVIEW JULIANE SCHUMACHER
FOTO KARSTEN THIELKER

taz: Frau Groß, ärgern Sie sich manchmal, dass Sie erst mit 19 zum Skaten gekommen sind?

Anna Groß: Auf jeden Fall! Ich wollte immer skaten, mit 12 habe ich mir von meinem Taschengeld mein erstes Skateboard gekauft. Aber ich hatte niemanden, mit dem ich diese Begeisterung teilen konnte. Meine Freundinnen sind alle nur Rollschuh gefahren. Manchmal ging ich mit den Jungs mit, aber die waren alle schon besser. Und dann habe ich mich nicht getraut, so als Anfängerin. Ich wollte mich nicht blamieren. Ziemlich typisch – vermutlich ein Grund, warum so viele Mädchen nie anfangen. Und für mich der Grund, warum ich nie so gut geworden bin, wie ich wohl gewesen wäre, wenn ich schon als Kind begonnen hätte.

Den Weg aufs Board haben Sie aber doch noch gefunden.

Nach dem Abitur bin ich für ein Jahr in die USA gegangen und habe als Au-pair-Mädchen in Washington gearbeitet. Da war für mich klar: Das ist das Land des Skateboardens, da muss ich einfach skaten. Und es kannte mich niemand – es konnte gar nicht peinlich werden. Ich habe angefangen und konnte gar nicht mehr aufhören. In dem Jahr dort bin ich fast jeden Tag geskatet, ich habe Skate-Parks in den ganzen USA abgeklappert.

Wie haben Sie in der fremden Stadt andere Skater kennengelernt?

Das war in den Anfangszeiten des Internets, es gab schon Foren. Da habe ich reingeschrieben, dass ich Skater suche. Und da haben sich auch gleich zwei sehr nette Typen gemeldet. Sie wurden meine Clique, wir waren zu dritt, manchmal zu fünft. Das Lustige war, dass zu dieser Zeit Skaten eigentlich gerade ziemlich out war. Das war, noch bevor das Playstation-Spiel mit Tony Hawk rauskam und Skateboarden wieder populär wurde. Die wilde Zeit, in der man einfach durch die Stadt ziehen konnte mit seinem Board, war in Washington schon vorbei, überall gab es Verbote. Die Skater, die ich dann kennengelernt habe, waren eigentlich schon kurz davor, das Skaten aufzugeben. Und dann kam ich mit meinem Enthusiasmus und meiner Begeisterung.

Die Sie dann auch wieder zurück nach Deutschland mitgenommen haben.

Vier Tage vor meinem Rückflug habe ich mir beim Skaten das Bein gebrochen. Aber das hat mir keinen Dämpfer verpasst. Im Gegenteil, ich habe das Skaten so vermisst! Es war klar, sobald das verheilt ist, stehe ich wieder auf dem Brett. Ich habe dann auch sofort Anschluss gefunden, überall, wo ich hingekommen bin: in Aachen, wo ich angefangen habe zu studieren, dann in Berlin …

Aber Sie waren überall die einzige Frau. Hat Sie das gestört?

Das ist mir ganz lange gar nicht aufgefallen. In Washington habe ich nach einem halben Jahr die erste andere Skaterin getroffen. Da habe ich erst realisiert: Hey, ich habe ja bisher gar keine anderen Frauen getroffen! Wir haben uns dann auch gleich verabredet, um zusammen zu skaten.

Haben Sie sich nie diskriminiert gefühlt?

Zuerst nicht. Aber dann waren wir 2003 in Prag, auf dem Mystic Skate Cup, und da war eine ganz unschöne Stimmung unter den Skatern, so nach dem Motto: Frauen sind zum Flachlegen da. Da kamen viele sehr junge Mädchen, die ganz offensichtlich nur da waren, um die coolen Skater kennenzulernen, und die Jungs haben das total ausgenutzt. Erst da ist mir aufgefallen, welch starre Rollenmuster im Skaten eigentlich herrschen. Die Männer, das sind die Coolen, wagemutigen Skater – und die Frauen sind vor allem dazu da, am Rand zu applaudieren.

Wie haben Sie da reingepasst – als Frau und Skaterin?

Ich wurde nicht direkt anders behandelt, ich war eben ein Kumpel – aber auch nur das. Als Skaterin ist man anscheinend keine richtige Frau. Auch als Freundin würde man nicht infrage kommen. Es gibt da eine große Kluft zwischen dem, was Skateboarden sein will, und dem, was es ist. Diese unheimliche Toleranz und Freiheit – dass man überall auf der Welt zu einem anderen Boarder hingehen kann, sich Tricks beibringt, auf der Couch schläft, selbst wenn man sich kaum kennt –, das gibt es. Aber eben nur für den männlichen Teil der Skate-Community und für die Skaterinnen unter sich. Aber leider wenig gemeinsam.

Auch in Berlin?

In Berlin sogar mehr als in der Kleinstadt. Berlin ist groß, es gibt sehr viele Skater, das Niveau ist hier sehr hoch. Aber gleichzeitig wollen sich alle profilieren, wahrgenommen werden.

Trotzdem haben Sie hier schließlich Mitstreiterinnen gefunden.

Als ich 2001 nach Berlin kam, bin ich zuerst am Volkspark Friedrichshain gefahren, später wurde der Skatepark Prenzlauer Berg eröffnet. Da habe ich zwei andere Frauen kennengelernt, und wir waren viel zusammen skaten. Zu der Zeit habe ich auch angefangen, Workshops für Jugendliche zu geben. Da gab es oft ganz dankbare Kommentare von den Mädchen: Wie toll, dass du dich das traust. Das macht uns Mut. Später waren wir an der Gründung der Skatehalle in der Revaler Straße beteiligt und haben uns da auch immer wieder darum bemüht, dass es Zeiten gibt, in denen die Halle nur für Frauen geöffnet ist.

Seit 2011 organisieren Sie „Suck My Trucks“, einen Skate-Wettbewerb nur für Frauen.

Das gab es bis dahin in Deutschland nicht. Es ist ein richtiger Contest, keine Alibiveranstaltung am Rande eines Wettbewerbs für Männer. Da kommen Fahrerinnen aus ganz Europa, und es gibt ein richtiges Preisgeld. Wir haben gemerkt: Wir brauchen Solidarität zwischen den Fahrerinnen, und wir brauchen reine Frauenräume. Das zeigt die Erfahrung seit den 1970er Jahren: Solche Frauenräume machen Frauen selbstbewusster. Dann gehen sie auch wieder gestärkt hinaus in andere Bereiche.

Wie war die Reaktion der Skater?

Heftig. Vor allem meine beiden Mitstreiterinnen, die die Ladies Time in der Skatehalle organisieren, werden oft angefeindet. Da heißt es dann: Hey, warum macht ihr uns jetzt die Halle zu? Oder: Sind doch eh alles Lesben hier.

Warum ist der Sexismus im Skaten so stark?

Sexismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das gibt es nicht nur im Skaten. Ich glaube, er ist dort nur stärker, weil es ein Sport ist, der sich sehr an einem bestimmten urbanen Lifestyle orientiert: Skater sind die coolen, selbstbewussten Typen. Individualismus spielt eine große Rolle. Aber es ist natürlich ein sehr kommerzialisierter Sport, und von der Werbung wird das gepusht.

Sie haben auf einer Website Beispiele dafür gesammelt. Da gibt es ziemlich krasse Beispiele: Skateboards, auf die Frauen in eindeutigen Posen gedruckt sind, Wachs in Brustform, nackte Frauen, die sich neben Skatespots rekeln …

Wir hatten das Material für eine Ausstellung gesammelt, die wir am Rande unseres Contests gezeigt haben. Dann dachten wir: Stellen wir es doch auch ins Internet. Meine Kollegin hat die Website gemacht – und die hat ein ziemliches Medienecho hervorgerufen. Unter anderem gab es ein Streitgespräch zwischen mir und einem anderen Skater über Sexismus im Monster Mag, dem wichtigsten deutschen Skate-Magazin.

Ein Erfolg für Sie?

Auf jeden Fall. Mit den Redakteuren vom Monster Mag habe ich dann noch weiterdiskutiert. Meinen Vorschlag, die Hälfte der Cover mit Frauen zu bestücken, fanden sie zwar nicht umsetzbar, aber sie haben ihre Fotografen offenbar doch angewiesen, mehr darauf zu achten, wie sie Frauen darstellen und auch öfter mal skatende Frauen abzulichten. Uns ging es ja nicht nur darum, zu zeigen, wie sexistisch die Werbung ist, sondern auch darum, dass so wenige skatende Frauen in den Magazinen präsent sind. Das ist ein Kreislauf: Wenn Mädchen keine skatenden Frauen sehen, kommen sie auch nicht auf die Idee, es selbst mal zu versuchen.

„Es gibt eine große Kluft zwischen dem, was Skateboarden sein will, und dem, was es ist“

Die großen Skaterinnen wie die Brasilianerinnen Letitia Bufoni oder Karen Jonz scheinen da nicht wirklich einen Widerspruch zu sehen: Die werden für ihre Tricks gefeiert und modeln nebenher auch mal nackt mit ihrem Board im Arm …

Ich habe nichts dagegen, dass sich eine Skaterin wie Letitia Bufoni auch mal sexy zeigt. Das ist ihre Entscheidung, und für sie mag es ganz toll sein, dass sie übers Modeln auch Geld verdienen kann. Würde das nicht die ewig alten Rollenmuster bedienen, wäre das überhaupt kein Problem. Denn andersherum kann ich mich an keine Nacktfotos mit Brett im Arm von männlichen Profiskatern erinnern. Und warum müssen Sportlerinnen immer modeln können, um bekannt zu werden?

Ist das der Grund, warum so wenige Frauen skaten: dass ihnen die Vorbilder fehlen?

Ja, auch. Ich habe viel darüber nachgedacht, warum so wenige Frauen skaten. Ich hatte eine Zeit, da dachte ich: Vielleicht ist es doch auch körperlich bedingt? Nach der Geburt meines Sohnes musste ich lange mit dem Skaten pausieren, da habe ich mich geärgert und gedacht: Wäre ich jetzt ein Typ, hätte ich das Problem nicht. Dann hätte ich ein Kind gezeugt und könnte trotzdem genauso skaten wie davor. Aber ich glaube heute, dass der Hauptgrund die Erziehung ist.

Weil Skaten solch ein „harter“ Sport ist und damit unweiblich?

Genau. Ein Mädchen wird von von klein auf dazu erzogen, nicht laut zu sein, nicht vorlaut, sich nicht dreckig zu machen. Aber das passiert beim Skaten. Skaten ist ein gefährlicher Sport, man kriegt auch mal blaue Flecken und tut sich weh.

Sie haben einen Sohn, ein eigenes Musiklabel, organisieren Contests und Ausstellungen. Woher nehmen sie all die Energie?

Ich hatte immer sehr viele verschiedene Interessen. Und ein großes Bedürfnis nach Gerechtigkeit. Das liegt sicher auch in meiner Familie: Meine Mutter war das, was man, damals noch im positiven Sinn, als Emanze bezeichnet hat. Sie hat sich für Frauenhäuser engagiert, hat bis heute ihre Frauengruppen. Was sie im Kleinen, Privaten zu verändern versucht hat, versuche ich heute eher auf einer politischen, einer gesellschaftlichen Ebene.

Wie oft kommen Sie heute noch zum Skaten?

Ich versuche, mindestens einmal die Woche zu fahren. Ich habe vor Kurzem mit Kiteboarden angefangen, das bietet sich an, wenn man am Tempelhofer Feld wohnt. Es kostet nicht so viel Zeit, wie durch die halbe Stadt zu Skatespots zu fahren. Aber mein Sohn fängt auch an, sich fürs Skateboard zu interessieren. Darauf freue ich mich: Wenn er größer ist, skaten wir zusammen.