Auf dem Weg zu sich selbst

Im Lauf dieser Woche spielen hier in Berlin hintereinander Jochen Distelmeyer, am Dienstag im Festsaal Kreuzberg, und am Mittwoch Bernd Begemann im Frannz. Zwei Musiker aus Hamburg. Was allein deswegen schon vor einiger Zeit für feuchte Hände in der Erwartungshaltung gesorgt hätte. Als Hamburg noch die Stadt war in Deutschland, in der man als anständiger Rockmusiker einfach ansässig sein musste, am besten örtlich und zumindestens mental. In einem ihrer frühen Schlurfgitarrenrock-Lieder haben Tocotronic davon gesungen: „Ich bin neu in der Hamburger Schule/ und lern kein Griechisch und kein Latein/ Und trotzdem scheint mir die Hamburger Schule/ ’ne Eliteschule zu sein.“

Was natürlich als Persiflage gemeint war. Ironie. Ausrufezeichen. Und eben nochmals diesen Begriff konturierte von der Hamburger Schule, zu der man auch Diskurspop sagen kann, was alles nur recht ungefähr eine musikalische Situation Anfang der Neunziger beschreibt, in der wieder vermehrt deutsch gesungen wurde. Oft mit einem gesellschaftspolitischen Impetus. Eigentlich immer mit Distanzierungsgesten, weil man nirgendwo dazu gehören wollte. Auch nicht zu einer Hamburger Schule. Auf den geselligen Zusammenhang verzichten wollte man aber nicht. „Soziale Randgruppen auf dem Weg zu sich selbst“, sang Jochen Distelmeyer mit seiner damaligen Band Blumfeld, die bei der Schulbildung und dem Diskurspop immer als Erste genannt wurde. The thinking man’s pop music. Plattenverkäufe knapp fünfstellig, wenn es mal ein Erfolg war. Aber garantierte Diskurshoheit im Popfeuilleton.

Bernd Begemann stand da etwas abseits. Wurde nicht so recht ernst genommen. War nie richtig cool. Vielleicht zu sehr bunter Hund. Und mit seinem Lied „Rambo III mit Jochen Distelmeyer im Autokino“ der Autor des wahrscheinlich großartigsten Selbstzeugnisses deutscher Popbefindlichkeit der letzten Jahre: „So war das damals, es war genauso/ Rambo III mit Jochen Distelmeyer im Autokino/ Vor seiner Haustür hatten wir dann noch einen Streit/ Ich weiß nicht, wegen irgendeiner Kleinigkeit/ Jochen sagte ‚Bernd, du betreibst Betrug/ du bist einfach nicht radikal genug!‘/ ich sagte ‚Jochen, sieh es mal so:/ du bist Godard und ich bin Truffaut!‘… Heute glaube ich, das stimmte alles nicht/ er ist nicht einmal er /ich bin nicht einmal ich…“

Jochen Distelmeyer macht jetzt Liebeslieder, die man eigentlich nur noch ironisch verstehen kann. Aber irony is ja over. Und Begemann hat gerade mit Dirk Darmstaedter eine Platte eingespielt, für die deutschsprachige Rock-’n’-Roll-Lieder der Fünfziger ausgegraben wurden, die auch im Frannz vorgestellt wird. Ist schon in Ordnung so. Wo soll man denn auch noch groß ankommen. THOMAS MAUCH