: „Industrie nahm Einfluss auf Gesetze“
Neue EU-Gesetze können Chemieskandale auch in Zukunft nicht vehindern, sagt Verbraucherschützer Buschmann
taz: Perfluorierte Tenside machen wahrscheinlich krank. Das steht inzwischen in jeder Zeitung. Den Stoff gibt es aber schon seit 20 Jahren. Ende 2006 gibt es strengere EU-Chemiegesetze, vor allem muss die Industrie Gesundheits- und Umweltrisiken offenlegen. Wissen wir dann endlich rechtzeitig, was für einem Gift wir jetzt schon wieder ausgesetzt sind?
Rolf Buschmann: Definitiv nicht. REACH (Registrierung, Evaluierung und Autorisierung von Chemikalien, Red) – das Kernstück des Gesetzesentwurfs – ist auf Druck der Chemielobby derartig abgeschwächt worden, dass immer noch eine ganze Menge giftiger Stoffe eingesetzt werden kann, ohne dass irgendetwas über ihre Wirkung auf Mensch und Umwelt bekannt wird.
Was für Stoffe?
Der Clou an REACH ist, dass Altstoffe systematisch erfasst und kontrolliert werden. Bis jetzt müssen nur neue Chemikalien auf Risiken untersucht werden, bevor sie in der Industrie verwendet werden. Die meisten verwendeten Chemikalien sind aber alt. Es gibt bestimmt 100.000 chemische Stoffe, über deren Wirkung auf Menschen nichts oder wenig bekannt ist. PFT wird ja auch schon lange verwendet. Jetzt sind große Mengen im Trinkwasser und im Fisch aufgetaucht, jetzt stellt man fest, dass man dringend Forschungsergebnisse über die gesundheitlichen Folgen braucht. Es gibt sie aber nicht. Mit REACH wären sie Vorschrift.
Ein Schwarzbuch für Chemiekalien also. Das hört sich doch gut an. Sie sagten aber gerade, dass viele dann doch nicht erfasst werden.
Leider hat die Chemieindustrie viel Einfluss auf die Gesetzgebung genommen. Jetzt müssen Firmen nur noch die Chemiekalien untersuchen lassen, von denen sie mehr als 100 Tonnen herstellen. Die hergestellte Menge einer Chemikalie sagt aber nichts über ihre Giftigkeit aus. Nehmen wir zum Beispiel die Nanotechnologie. Stoffe werden in winzigste Partikel aufgespalten. Dadurch verändert sich ihre Wirkung, wie, weiß heute noch kein Mensch. Es wird aber auch nicht untersucht, weil 100 Tonnen Nanopartikel in keinem Betrieb zusammenkommen werden.
Es muss also weiterhin erst den Skandal geben, bevor untersucht wird.
Ja, leider schon. Sowieso ist die Verbraucherinformation in dem Gesetzespaket höchstens ein Nebenaspekt.
Verstehe ich nicht. Es geht doch ganz offiziell um Verbraucherschutz.
In der Form wie das REACH-Register jetzt geplant ist, bleibt es für die Verbraucher ein Buch mit fünf Buchstaben, das nur Fachleute durchschauen können. Sein Prinzip kann trotzdem funktionieren, weil bestimmte Stoffe vom Markt genommen werden können, wenn sie als schädlich identifiziert werden. Es ist aber tatsächlich am besten, wenn die Informationen auch für Verbraucher transparent gemacht werden. Das wird in den EU-Gremien derzeit noch diskutiert.
INTERVIEW: MIRIAM BUNJES