DIE ACHSE DER EINSAMEN GEISTER VON ANDREAS HARTMANN
Cello-Seufzen

Unter den Angehörigen der Familie der Streichinstrumente galt das Cello, zumindest aus dem Blickwinkel der sogenannten Unterhaltungsmusik, immer am uncoolsten. Die Violine brachte immerhin den Teufelsgeiger hervor und beim Kontrabass lässt sich an Typen mit Zigaretten in den Mundwinkeln denken, die in verrufenen Kaschemmen ihr dickbäuchiges Instrument lässig zupfen. Beim Cello dagegen fallen einem höchstens Mädchen ein, die sichtbar Probleme haben, ihr sperriges Instrument aus der U-Bahn zu lupfen. Dass das Cello jedoch absolut unterschätzt wird, macht das bestechend schöne Album der Isländerin Hildur Gudnadóttir deutlich. Es wurde eingespielt in New York und in einer abgeschiedenen Hütte irgendwo auf Island. In seinem Mittelpunkt stehen die melancholisch seufzenden Klänge des gestrichenen Cellos. Drumherum gruppiert sie Klänge einer Viola da Gamba, einer Zither und Klangtupfer von Piano, Vibraphon und einem so obskuren Instrument wie der Moran Khuur, einer mongolischen Fiedel. Jeder Ton, der auf „Mount A“ zu hören ist, wurde von Gudnadóttir, die einst Teil der isländischen Popband Múm war, selbst eingespielt. Das Ergebnis ist eine Mischung aus Minimal Music, wie man sie von Michael Nyman kennt, und der pastosen Klangästhetik des Münchner Jazzlabels ECM.

■ Hildur Gudnadóttir, „Mount A“ (Touch)

Feedback-Halluzinationen

Seit einiger Zeit geistert unter Musikjournalisten der Begriff „Hypnagogic Pop“ umher. Gemeint ist damit ein schwer zu fassendes Genre, das bislang hauptsächlich in den USA ausgemacht wurde, ein Poptrend neuartiger psychedelischer Musik. Hypnagogic Pop verarbeitet per Definition die eigene Biografie, die Süße der Jugend und stellt diese als klangliche Träume und Halluzinationen nach. Hypnagogic Pop funktioniert wie ein guter Ken-Russell-Film, ist kitschig und gleichzeitig formal entgrenzt. Aushängeschild dieser neuen Bewegung ist die Band Emeralds, deren Gitarrist Mark McGuire nun ein prototypisches Stück Hypnagogic Pop veröffentlicht hat. Das Albumcover ist gepflastert mit alten Familienfotos. Den Auftakt bildet fröhliches Kindergejohle, das einen die ganzen Songs über lang begleiten wird, bevor die ersten Akkorde gezupft werden. Alles scheint noch klar und geordnet zu sein. Bis eine verzerrte Gitarre die Übersichtlichkeit wegwischt und kompliziertere Soundstrukturen folgen. Wir begeben uns zurück, „Around The Old Neighborhood“, das träumerische Erinnern wird stärker, und langsam klingt die Gitarre mit ihren Halleffekten, die sogar Pat Metheny zu viel wären, immer gespenstischer. Erst ganz am Ende löst sich alles in krachigem Indierock auf, die Kindheit scheint endgültig vorbei zu sein.

■ Mark McGuire, „Living With Yourself“ (Editions Mego)

Synthesizer-Gebrutzel

Tonträger lassen sich schwerer verkaufen als früher. Man muss sich etwas einfallen lassen. Sam Prekop, bildender Künstler sowie Gitarrist und Komponist der verdienstvollen Band The Sea & Cake aus Chicago, hat sich unbedruckte Papphüllen für CDs und Vinyls anfertigen lassen, mit nichts darauf als seinem Namen. Die Cover hat er dann eigenhändig bemalt. 1.000 Platten- und 1.000 CD-Cover sind nun Unikate. Kleine Kunstwerke, von denen der geneigte Fan bestimmt sogar mehrere besitzen möchte. Sogar wenn, wie Prekop, der Künstler eine derart sperrige Platte wie „Old Punch Card“ aufgenommen hat, für die er einen Preis bekommen sollte wegen der radikalstmöglichen Unterwanderung von Erwartungshaltungen. So ähnlich wird es auch gewesen sein, als Lou Reed damals sein berüchtigtes Album „Metal Machine Music“ in die Läden stellen ließ. Statt Rock ’n’ Roll gab er nur mit Gitarrenfeedback eine Vorstellung davon, wie es sich anhören muss, wenn man von einer laufende Flugzeugturbine angesaugt wird. Und bei Sam Prekop gibt es nun statt entspanntem und stets geschmackssicherem Gitarrenpop, für den er steht, ausschließlich Klangskulpturen auf dem Modularsynthesizer, die einer „Metal Machine Music“ beängstigend nahe kommen. Kein Gesang, keine Rhythmen, nur Gefiepe und Gebrutzel auf dem Synthesizer.

■ Sam Prekop, „Old Punch Card“ (Thrill Jockey/Rough Trade)