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Archiv-Artikel

Konfrontation mit dem Rassismus

Fotograf Andreas Deffner hat an Albinismus leidende Menschen in Indien fotografiert und ihre Porträts in einer Hamburger Galerie ausgestellt. Eine Schau, die einerseits mit künstlerischer Überhöhung arbeitet, den Besucher aber andererseits zu ungewollt rassistischen Vergleichen verführt

Man wird zum respektlosen Voyeur, laden die Porträts doch dazu ein, die Haut völlig Fremder aus einer Nähe zu betrachten

VON PETRA SCHELLEN

Am Anfang war das Wort. Dann kam das Wasser, bald folgten Mond und Sonne. Im Zentrum aller Weltreligionen steht ein gütig nährender Sonnengott, vielleicht auch eine Göttin; am zärtlichsten präsentiert in den unter dem ägyptischen Pharao Echnaton entstandenen Reliefs, die Sonnengott Aton mit den Menschen streichelnden Händen zeigen. Einige indes profitieren von dieser Form der Fürsorge nicht. Im Gegenteil: Für jene, die von Albinismus betroffen sind, wandelt sich die Leben spendende Kraft der Sonne in Bedrohung: Hautkrebs und Augenschäden trägt davon, wer sich, mit dieser Erbkrankheit belastet, dem grellen Licht aussetzt.

Albinismus ist eine durch entsprechende gleichartige Gene beider Elternteile ausgelöste Stoffwechselkrankheit, die auf dem Fehlen des dunklen Pigments Melanin basiert und nicht therapiert werden kann. Helle Haut und fast weißes Haar charakterisieren die Kranken, die ein bis zwei Prozent der Bevölkerung ausmachen.

In Nordeuropa fallen diese Hellhäutigen kaum auf. In Ländern der Südhalbkugel dagegen schon – in Indien etwa, wo Fotograf Andreas Deffner seine Motive fand. Vier Jahre lang ist er dort durch Dörfer und Städte getourt, um jene Menschen zu finden, die oft ausgegrenzt, als Botschafter des Bösen gebrandmarkt oder abfällig „die Weißen“ genannt werden.

Eine Ausstellung aus mehr als 20 großformatigen Farbfotos ist dabei herausgekommen, die die Weißhäutigen mit dem Blick des Europäers konfrontiert. Klar und würdevoll blicken Kinder, Frauen und Männer in die Kamera. Vor neutral weißem Hintergrund hat Deffner sie abgelichtet, als habe er die Helligkeit von Haut und Haar noch verstärken wollen. Doch das Prozedere hat System: Er habe sie nicht vor „typisch“ indischem Hintergrund zeigen wollen, sagt der Fotograf. Er habe vorschnelle Assoziationen und ein schnelles Abgleiten des Blicks verhindern wollen, und bewusst mit der Irritation des Betrachters gespielt.

Die tritt prompt ein, wenn man sich den teils überlebensgroßen Porträts nähert. Denn ist man nicht entsprechend gebrieft, merkt man zunächst nicht, wen man vor sich hat. Iren oder Skandinavier könnten es sein, die da in oft europäischer Kleidung den Betrachter fixieren. Dann aber entdeckt man den roten Punkt auf der Stirn eines Mädchens. Das Sari einer Frau. Die fast gewaltsam zusammengekniffenen Augen eines Mannes und die mit schwarzen Rest-Pigmenten übersäte Haut einer Familie. Und man begreift: Der erste Eindruck war Täuschung. Hier lagert etwas anderes unter der Oberfläche. Hier wird mit Assoziationen und Vor-Urteilen über das Äußere von Menschen gespielt. Und man selbst ist mittendrin. Schneller, als man es stoppen kann, erwischt man sich bei der Überlegung, ob das da europäische Augen sind und ob es diese Lippen- und Nasenform wirklich in Skandinavien gäbe. Und was man nie wollte, tritt ein: Zum Rassisten wird hier, wer seine gedanklichen Reflexe nicht in Sekunden kontrolliert.

Zum respektlosen Voyeur wird man außerdem, laden die Porträts doch dazu ein, die Haut völlig Fremder aus einer Nähe zu betrachten, die sich im täglichen Umgang verböte. Die bis über die Lippen wuchernden Pigmente dort – gleichen sie einer tätowierten Blumenwiese oder sind sie erste Anzeichen von Hautkrebs? Oder spielt der Fotograf hier bloß mit der – unsere Diktion von Normalität – unterlaufenden Hässlichkeit?

Manchmal traurig, oft aber offensiv und selbstbewusst präsentieren sich die im Jahr 2005 Porträtierten, die aus allen sozialen Schichten stammen und fürs Foto Pose und Kleidung frei wählen konnten. Kurze Viten liegen in der Galerie aus, doch das erhellt nur eine Facette der Schau, die sich auf dem Grat zwischen Abstraktion und peniblem Realismus bewegt. Der Fotograf bemüht sich sehr, keine Voyeurismen zu bedienen – und tut es auf subtile Art doch, vielleicht zum Wohl der Betroffenen. Denn man kommt nicht umhin, sich mit der Tatsache zu befassen, dass sich diese hoch lichtempfindlichen Menschen meist weder Sonnenschutzmittel noch lichtundurchlässige Kleidung leisten können. Und dass es in Indien kaum Berufe gibt, die nicht im grellen Sonnenlicht ausgeübt werden, was das Hautkrebs-Risiko der Albinismus-Kranken um ein Vielfaches steigert. Zudem müssen etliche von ihnen die Schule aufgrund nachlassender Sehschärfe früh verlassen, die Älteren finden aus demselben Grund oft keine Arbeit. Frauen, aufgrund des Handicaps diskriminiert, bleiben oft unverheiratet und somit finanziell abhängig von Verwandten.

All dies schwingt trotz aller künstlerischen Überhöhung mit in Deffners Fotos; beklommen liest man, dass einer der Porträtierten seine Krankheit als Strafe für die Sünden früherer Leben betrachtet. Er hat sich abgefunden, und wie alle anderen treibt ihn die Sorge um Angehörige mit derselben Krankheit um. Beziehungsweise die Dankbarkeit für deren Verschonung.

Andreas Deffner: „White, too white – A Portrait of Albinism in India“. Bis 31. 10. in der Galerie von Kories (Stresemannstraße 384 a). Di–Fr 14–19 Uhr.