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Archiv-Artikel

„Eine Art Feuerwehrmentalität“

Nach dem NPD-Erfolg setzt man in Mecklenburg-Vorpommern auf die Arbeitsmarktpolitik. Ist die Prävention gegen Rechtsextremismus am Ende? Ein Gespräch mit der Politologin Gudrun Heinrich

INTERVIEW VON FRIEDERIKE GRÄFF

taz: Zeigt der Wahlerfolg der NPD, dass die Präventionsprojekte in Mecklenburg-Vorpommern nicht greifen?

Gudrun Heinrich: Nein. Erstens haben wir den Gegentest nicht gemacht, was ohne diese Projekte bei der Wahl passiert wäre. Und zweitens können wir nicht davon ausgehen, dass es eine direkte Wirkung von Präventionsprojekten auf die Wahlverhinderung gibt. Präventionsarbeit wirkt langfristig – und sie soll nicht nur Leute davon abhalten, NPD zu wählen, sie soll auch auf der Einstellungsebene ansetzen.

Die Landespolitiker haben nach der Wahl gesagt, erstes Ziel seien neue Arbeitsplätze. Es klang, als bräuchte man dann gar keine Präventionsarbeit.

Das ist ein verkürzter Gedanke. Natürlich spielt die soziale Lage eine wesentliche Rolle, aber wir haben keine direkte Kausalität von Arbeitslosigkeit und NPD-Wahl. Wir haben bei den Arbeitslosen einen höheren Anteil von NPD-Wählern, aber auch Menschen, die Arbeit haben und sozial abgesichert sind, wählen NPD. Eher erklärt die subjektive Empfindung, sozial benachteiligt zu sein, das rechtsextreme Einstellungspotenzial.

Warum werden die Projekte so selten evaluiert?

Die Evaluation der großen Bundesprogramme wird mit relativ viel Aufwand betrieben. Aber man muss von der Forschungsseite her einfach sagen: Ich kann keinen direkten Zusammenhang zwischen stattgefundenen Projekten und Einstellungen konstruieren. Ich kann abfragen, was die Leute über den Nationalsozialismus wissen, aber um die Einstellung abzufragen, müsste ich langfristige und aufwändige Befragungen organisieren.

Sind die Projektträger damit nicht auf den guten Willen der Parteien zurückgeworfen?

Es geht nicht um guten Willen, sondern um eine rationale Kosten-Nutzen-Abwägung. Die Politik muss sehen, dass das demokratische Einstellungspotenzial in der Gesellschaft kleiner wird. Und die Parteien müssen, nicht nur zur eigenen Erhaltung, sondern auch der demokratischen Kultur, großes Interesse an der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus haben.

Sie fordern, dass Präventionsprojekte Demokratie attraktiver machen müssten. Wie kann das praktisch aussehen?

Sie müssen klar machen, dass Demokratie die einzige Staats-und Gesellschaftsform ist, in der es sich lohnt, zu leben. Und das mit Spaß. Ich fordere von den Politikern, dass sie offensiv auch in problematischen Wahlbezirken erklären, dass es attraktiv ist, für die Demokratie Politik zu machen. Und von den Jugendprojekten erwarte ich, dass Demokratie als Prinzip in den eigenen Strukturen und in der Themenwahl an erster Stelle steht.

Bei den Angeboten, die bis zur Erlebnispädagogik reichen, erschließt sich der demokratische Bezug nicht immer.

Die Erlebnispädagogik ist hoch problematisch. Es gibt aber nicht das eine richtige Projekt. Es kann so aussehen, dass ich in Jugendeinrichtungen vereinbare, dass keine rechte Musik gehört wird, dass ich Projekte mit Migranten mache oder dass man in den Schulen nicht nur einen Projekttag macht, sondern das Thema „Vielfalt und Demokratie“ quer durch die Fächer geht.

Gibt es unabhängig von der Projektvielfalt allgemeine Kriterien für die Projekte?

Es darf keine reine Symbolpolitik sein, „Rock gegen Rechts“ alleine wirkt nicht. Es muss langfristig wirken, an den Ursachen ansetzen und eine positive Bewertung von Demokratie beinhalten. Ich muss mit den Schülern nicht nur darüber reden, was Rechtextremismus ist, sondern auch darüber, was Demokratie ist – und wie sie funktioniert.

Teilen Sie die Kritik, dass es zu wenig Angebote für Jugendliche gibt, die weder zum Mainstream gehören, noch wirklich rechtsgerichtet sind?

Ja. Jugendliche können sagen: „Wenn ich rechtsextrem auffällig werde, kümmert sich ein Sozialpädagoge um mich. Tue ich das nicht, bin ich allen egal.“ Es herrscht eine Art Feuerwehrmentalität.

Warum hört man viel mehr über Initiativen in Brandenburg als über solche in Mecklenburg-Vorpommern?

Hört man das wirklich? Auch in Mecklenburg-Vorpommern haben sich alle Parteien im bisherigen Landtag zusammengetan und Beschlüsse gegen Rechtsextremismus gefasst. Wir sind auf dem Weg. In Brandenburg hat man eine längere Tradition und das Programm „Tolerantes Brandenburg“ ist hoch angebunden.

Welche Konsequenzen erwarten Sie nach dem NPD-Erfolg für die Präventionsarbeit?

Ich hoffe, dass nach dem Schock vor allem die Arbeit im ländlichen Raum einsetzt. Wir können nicht nur in Schwerin und Greifswald Veranstaltungen machen. Wir müssen auch nach Anklam und Uckermünde.

Wo es im Zweifelsfall gar kein Bürgerhaus mehr gibt.

Im Raum darum ist das Problem noch größer: Angesichts von Schulschließungen und den wenigen kirchlichen Strukturen mangelt es an Akteuren für die Zivilgesellschaft, denen man sagen könnte: „Macht eine Veranstaltungsreihe, äußert euch gegen Rechts.“

Wie viel Zeit veranschlagen Sie für den Aufbau einer solchen Zivilgesellschaft?

Eine Generation. Es ist ein langfristiges Projekt, weil starke Kräfte dagegen arbeiten.