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Archiv-Artikel

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt

BEWEISNOT Auf der Nato-Tagung am Donnerstag soll es um die Abwehr von Cyberangriffen gehen. Das könnte nützlich werden, wenn ein Grund für den Bündnisfall fehlt

Man werde kaum strategische Gefechtsköpfe gegen eine Gruppe von Hackern einsetzen, heißt es in Brüssel

VON BETTINA GAUS

Es klingt harmlos – eigentlich nach einer bloßen Selbstverständlichkeit: Die Nato will Attacken aus dem Internet entschlossener als bisher bekämpfen und Militärcomputersysteme vor Cyberangriffen schützen. Diese Absicht soll Bestandteil des neuen strategischen Konzepts der Militärallianz werden, über das die Außen-und Verteidigungsminister nächste Woche in Brüssel beraten und das im November auf dem Nato-Gipfel in Lissabon beschlossen werden soll. Aber warum offiziell etwas vereinbaren, was doch gewiss längst praktiziert wird? Bemüht sich die Allianz bisher etwa nicht darum, ihre Computersysteme zu schützen? Wenn Banalitäten feierlich verkündet werden, sind die Gründe dafür meist das eigentlich Interessante.

Dass es schwierig, manchmal unmöglich ist, die Urheber von Cyberattacken ausfindig zu machen, ist bekannt. Noch komplizierter ist es, staatliches Handeln in einem solchen Zusammenhang konkret nachzuweisen – also die Regierung eines anderen Landes für einen Angriff verantwortlich zu machen. Nur dann kann es jedoch überhaupt ein Fall für die Nato sein. Fünf Hacker, die von einem anonymen Büro aus Militärcomputer lahmlegen, dürften sich schwerlich als Begründung dafür heranziehen lassen, dass die Nato den Bündnisfall ausruft. Das halten Nato-Diplomaten derzeit aber selbst dann für unwahrscheinlich, wenn tatsächlich feststehen sollte, dass ein Virus oder ein Trojaner im Auftrag einer ausländischen Macht auf die Reise geschickt wurde. Man werde kaum strategische Gefechtsköpfe gegen eine Gruppe von Hackern einsetzen, heißt es in Brüssel. Vielmehr solle es darum gehen, dass sich die 28 Nato-Staaten gegenseitig bei der Abwehr von Angriffen und beim Wiederherstellen zerstörter Systeme helfen.

Klingt gut. Aber das erklärt noch immer nicht, warum diese wechselseitige Unterstützung in den Entwurf des Strategiekonzepts von Nato-Generalsekretär Anders Rasmussen hineingeschrieben wurde. Vorstellbar ist auch ein anderes Szenario: dass eine Cyberattacke als Rechtfertigung für einen Angriff gegen einen Staat herangezogen wird, der einen anderen Kriegsgrund nicht liefert. Fingierte Beweise lassen sich nämlich im Zusammenhang mit Computerkriminalität leichter erstellen als etwa zur Untermauerung der Behauptung, ein Staat verfüge über Massenvernichtungswaffen. Honi soit qui mal y pense.

Wenn die Nato den Kampf gegen Computerangriffe zur gemeinsamen Aufgabe erklärt, ergibt sich daraus ein weiteres Problem: das der Abgrenzung. Was genau soll als Attacke gegen die Allianz gewertet werden? Nur der Versuch, sich ins Pentagon einzuhacken – oder auch derselbe Versuch bei einem Rüstungskonzern? Sollte das der Fall sein, dann ist die Grenze zwischen Industriespionage und militärischem Angriff fließend. Weit hergeholt ist die Überlegung nicht: Die Wahrung ökonomischer Interessen, etwa der gesicherten Energieversorgung, gilt seit Jahren als legitimer Anlass für eine Militäroperation und wird von der Nato als Bestandteil der kollektiven Verteidigung bezeichnet. Früher nannte man so etwas Angriffskrieg.

Trotz offener Fragen dürfte der Kampf gegen Computerkriminalität allerdings bei den Nato-Beratungen nicht für Kontroversen sorgen. Anders ist das bei zwei anderen Themen: der nuklearen Abrüstung in Europa und dem Verhältnis zu Russland.

Im Hinblick auf Moskau zeigt sich, dass der Kalte Krieg noch nachwirkt. Während Berlin und Paris eine enge Zusammenarbeit mit Russland wünschen, stehen neue Nato-Partner aus den Reihen der ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten dem großen Bruder von einst nach wie vor misstrauisch gegenüber. Das Misstrauen dürfte auf Gegenseitigkeit beruhen. Gerade hat der Nato-Generalsekretär ein weiteres Mal Georgien in Aussicht gestellt, eines Tages Mitglied der Allianz werden zu können. Moskau betrachtet ehemalige Sowjetrepubliken hingegen nach wie vor als Teil des eigenen Einflussbereichs. Ist das legitim? Na ja. Man stelle sich vor, wie Washington reagiert hätte, wäre dem sandinistischen Nicaragua in den 80er Jahren die Mitgliedschaft im Warschauer Pakt angeboten worden.

Stichwort Atomwaffen: Vor allem Frankreich wehrt sich gegen das Ziel eines atomwaffenfreien Europas. Nicht einmal der von Außenminister Guido Westerwelle bereits im Wahlkampf geforderte Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland dürfte in der Nato durchsetzbar sein. Die Mehrheit der Bündnispartner, darunter auch die USA, hält das Arsenal für ein notwendiges Mittel der Abschreckung.