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Allahs gewaltfreie Aktivisten

Zwischen Dschihad-Islam und Popkultur suchen viele junge Muslime einen dritten Weg. Im Kampf gegen den Terror sind sie unsere Verbündeten. Wir sollten auf sie zugehen

Der Streit über die Zukunft des Islam wird im Internet, in Jugendclubs und in Moscheen geführtDer Dialog muss beim Islamgipfel auch mit Verbänden geführt werden, die manchen dubios erscheinen

Die Anschläge vom 11. September 2001 waren für viele junge Muslime ein Ereignis, das ihr Leben verändert hat. Mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen reagierten viele von ihnen, als sie die Bilder der einstürzenden Twin Towers sahen. Und in den Tagen und Wochen danach begannen sie ihre Religion mit neuen Augen zu betrachten. Als klar wurde, dass die Anschläge im Namen des Islam begangen worden waren, begannen sie nachzuschlagen: Was steht denn im Koran über Gewalt? Den Kampf der Kulturen? Was ist überhaupt meine Religion?

Dieses Interesse führte bei vielen zur Wiederentdeckung ihres Glaubens. „Reborn Muslims“ – „Wiedergeborene Muslime“ nennen Islamforscher wie Olivier Roy diese neuen Frommen. Über einen kleinen Teil dieser frischgebackenen Gottesfürchtigen ist viel geschrieben und berichtet worden: Sie folgten dem Weg Ussama Bin Ladens, verschrieben sich dem Kampf gegen den Westen und zogen gar aus Überzeugung und Abenteuerlust nach Afghanistan oder in den Irak. Andere wiederum verübten Anschläge in westlichen Großstädten oder predigten Hass in Vorstadt-Moscheen.

Die überwiegende Mehrheit dieser wiedergeborenen Muslime hat jedoch aus dem Koran nicht die Anleitung zum Bombenbau, sondern zu einem besseren Leben herausgelesen: Sie sind tief religiös, bedienen sich in Mode, Lifestyle und Musik der globalen Jugendkultur und versehen diese mit islamischen Vorzeichen. Daraus ist ein neuer Remix entstanden, den man als Pop-Islam oder auch Pop-Islamismus bezeichnen kann.

Diese jungen Muslime wollen Erfolg haben und Spaß – wenn auch bitte schön islamisch korrekt –, und sie leiden persönlich darunter, dass Islam und Gewalt in den Köpfen vieler Menschen im Westen zu Synonymen geworden sind. Sie finden es falsch, dass Terroristen im Irak Menschen entführen und im Namen des Islam ermorden. Zugleich ärgern sie sich, dass westliche Medien ihren Fokus allein auf diese Grausamkeiten richten, wenn sie über die islamische Welt berichten. Sie engagieren sich dafür, dass der Islam in ein besseres Licht gerückt wird. Zugleich versuchen Sie, ihre gleichaltrigen Glaubensbrüder davon zu überzeugen, dass Hass und Gewalt der falsche Weg sind.

In einschlägigen Chats im Internet, bei Veranstaltungen in islamischen Jugendclubs, an der Universität wie beim Koranunterricht in so mancher Moschee wird deshalb erbittert gestritten: Dschihad-Verfechter treffen auf Pop-Muslime und streiten sich über Fragen wie: Darf man sich für die deutsche Gesellschaft engagieren? Wann ist die Anwendung von Gewalt legitim? Darf ein guter Muslim Musik hören? Wie knapp darf das T-Shirt einer guten Muslimin sein? Sie streiten über die Zukunft des Islam.

Die pop-islamische Bewegung hat – ebenso wie die Dschihad-Bewegung – ihren Ursprung in der arabischen Welt. Während die Dschihadis den Ideen und Anweisungen von Bin Laden und Co. lauschen, verehren die Pop-Muslime ihre Stars wie den britischen Sänger Sami Yusuf, den ägyptischen TV-Prediger Amr Khaled, oder sie lesen in den Büchern des Vordenkers des Euro-Islam, Tariq Ramadan. Beide Bewegungen sehen die Rolle des Muslims nicht nur auf dem Gebetsteppich. Dem Kampfgedanken der Dschihadis setzt die Pop-Bewegung Erfolgsstreben, Engagement für die Gesellschaft und das Motto: „Nimm dein Leben in die eigene Hand!“ entgegen.

Beide Bewegungen verfügen inzwischen über Anhänger in der ganzen Welt. Als deutscher Ableger der Dschihad-Bewegung machten zuletzt die beiden „Kofferbomber“ Schlagzeilen. Die Pop-Muslime sind in den deutschen Medien weit weniger präsent. Dabei organisieren sie in vielen deutschen Städten Info-Stände, verteilen Butterbrote an Obdachlose, engagieren sich gegen Zwangsehen, erteilen Deutschunterricht für „Importbräute“ oder tun, was sie sonst für geeignet halten, um das Bild des Islam zu verbessern.

Viele dieser Jugendliche fühlen sich in den Moschee-Gemeinden ihrer Eltern nicht mehr zu Hause und organisieren ihre eigenen Clubs und Treffpunkte. Andere engagieren sich in überregionalen Verbänden wie der „Muslimischen Jugend“ in Deutschland oder auch im Jugendverband der „Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs“. Spätestens bei dieser Verbindung gehen bei vielen Lehrern, Sozialarbeitern und Staatsschützern die Alarmanlagen an. Denn diese Verbände gelten als islamistisch und werden wegen ihrer Nähe zur Muslimbruderschaft oder der türkischen Islamisten-Partei von Erbakan mit großem Misstrauen betrachtet.

Auch liberal und säkular gesonnene Mitbürger verspüren ein Unbehagen, demonstrieren die jugendlichen Anhänger des Pop-Islam doch ein eher konservatives Islamverständnis: An dessen Eckpunkten wie Geschlechtertrennung, Kopftuch und Keuschheit vor der Ehe ist kaum zu rütteln. Jugendliche, die hier aufgewachsen sind und alle westlichen Freiheiten kennen, aber sich dennoch freiwillig dafür entscheiden, am Samstagabend in die Moschee und nicht in die Disco zu gehen, sind vielen ihrer Mitschüler suspekt. Und die jungen Frommen? Fühlen sich diskriminiert, weil ihnen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur „Milli Görüs“ die deutsche Staatsbürgerschaft verweigert wird oder weil sie wegen ihres Kopftuches keinen Job finden.

Fast jeder dieser jungen Muslime hat eine Geschichte über Misstrauen, schiefe Blicke oder auch Gewalt zu erzählen. Das ist gefährlich – nicht nur für die betroffenen Jugendlichen, sondern für uns alle. Denn angesichts der Gefahr durch den Terror brauchen wir Verbündete. Gegen Fanatiker, die bereits an Bomben bauen, helfen nur die Polizei und der Staatsschutz. Doch es geht darum, dass es dazu erst gar nicht kommt. Und da sind die Pop-Muslime sicherlich besser geeignet, ihre gleichaltrigen Glaubensbrüder zu überzeugen, dass der bewaffnete Kampf der falsche Weg ist, als deutsche Sozialarbeiter. Mit solchen „Ungläubigen“ würden Anhänger von Organisationen wie der verbotenen Hisb al-Tahrir im Zweifel ohnehin gar nicht erst sprechen.

Um in solchen Debatten glaubwürdig vertreten zu können, dass es gottgefälliger ist, sich in die Gesellschaft zu integrieren als sie zu bekämpfen, muss dieser Weg allerdings tatsächlich offen stehen. Deshalb ist es richtig, jetzt den Dialog und auch die Kooperation mit Organisationen wie der „Muslimischen Jugend“ und der „Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs“ zu suchen. Eine weitere Ausgrenzung dieser Vereine und der Versuch, sie etwa bei der anstehenden Islamkonferenz des Innenministeriums in Berlin am nächsten Mittwoch zu umgehen, wäre falsch.

Kriterium für eine Zusammenarbeit sollte deshalb die Haltung zur Gewaltfrage sein, weniger ein Bekenntnis zur Trennung von Staat und Religion. Denn in der gegenwärtigen Krise darf die Front nicht zwischen dem Westen und dem Islam verlaufen. Es ist auch kein Konflikt zwischen Glaube gegen Aufklärung. Zur Erinnerung: Der Kampf tobt zwischen Terroristen und deren Gegnern. JULIA GERLACH

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