: Die Macht des Alphorns
Der 19-jährige Hamburger Benjamin Scheuer hat in der Schweiz einen Kompositionswettbewerb für Alphorn gewonnen. Für die Medien ist das ein gefundenes Fressen – im Gegensatz zur Neuen Musik, die Scheuer demnächst im Studium beschäftigen wird
Für das Siegerfoto haben sie ihm ein Alphorn in die Hand gedrückt. Wie die Herren mit den Schnauzbärten und den schwarzen Joppen neben ihm hat er den Alphornhals auf seiner Schulter abgelegt, mit der linken Hand hält er ihn fest, in der rechten hat er einen Blumenstrauß. Auf diesem Bild könnte der 19-jährige Benjamin Scheuer zweifellos einer von ihnen sein, ein junger Eidgenosse aus einem Ort wie Aarberg oder Ernetschwil.
Zumal er die Haare zu den weichen Gesichtszügen etwas länger trägt, nicht wirklich lang, aber ohne modischen Hintergedanken. Und doch kommt er quasi aus einem anderen Kulturkreis: Benjamin Scheuer ist erstens Norddeutscher und lebt zweitens in der Millionenstadt Hamburg. Mit den Alpenländern verbindet ihn nun auf einmal, dass er den ersten Preis bei deren Komponistenwettbewerb Alphorn in Concert in Oensingen, in der Schweiz gewonnen hat. Scheuer hat sich gegen 30 Konkurrenten durchgesetzt, „eindeutig“, wie die Schweizer Veranstalter berichten.
Ein 19-jähriger Hamburger, der für Alphorn schreibt, und noch nie ein Alphorn in natura gesehen hat – dafür konnte es für die Schweizer nur eine Erklärung geben: „Hier wurde ein Genie entdeckt!“, heißt es in der Pressemitteilung.
Scheuer komponierte sein erstes Stück im Blockflöten-Unterricht mit sechs Jahren, er spielt Klavier, Geige und singt und fuhr während der letzten zwei Jahre einmal pro Woche nach Lübeck, wo er ein schulbegleitendes Vorklassenstudium in der Musikhochschule machte um jetzt, nachdem er das Abitur hinter sich hat, ein Kompositionsstudium anzupeilen. Das Echo des Schweizer Aufschreis reichte bis nach Deutschland: Die Süddeutsche Zeitung, das Fernsehen, die Lokalpresse, alle wollten mit dem „Alphorn-Mozart“ (Hamburger Morgenpost) reden. Der NDR hat ihn gar in eine Talk-Show eingeladen.
Benjamin Scheuer ist über den ganzen Vorgang fünf Tage nach der Preisverleihung noch amüsiert. Es ist ein friedlicher Spätsommertag in Hamburg-Volksdorf, Scheuer sitzt im Haus seiner Eltern, hält den Hund fest und sagt: „Der Alphorn-Wettbewerb ist ein kleiner Scherz den ich mir nebenbei erlaubt habe.“ Er sei im Internet auf die Ausschreibung gestoßen und fand die Idee eines Kompositionswettbewerbes für Alphorn und Volksmusikformation „verrückt. Ich konnte mir als Norddeutscher gar nicht vorstellen, dass das Alphorn ein Instrument ist, das mehr als nur ein Geräusch von sich gibt. Und dass es eine Gesellschaft für Alphorn gibt, die einen Wettbewerb veranstaltet. Volksmusik, das war für mich bis dahin nur bayerische Musik.“
Scheuer machte sich im Internet schlau über das Alphorn und lernte: 14 Töne kann es maximal spielen. Außerdem besorgte er sich Noten eines renommierten Schweizer Alphorn-Komponisten um herauszufinden, welche Funktion das Alphorn in der Volksmusik übernimmt, ob es Melodien spielt oder einfach mitläuft. Dann komponierte er, drei Tage lang je zwei Stunden, als Ausgleich zur Abi-Vorbereitung. Richtig traditionell wollte er es machen, kopierte diverse Klischees und war dann überrascht, dass die Schweizer Komponisten es auch so angepackt hatten. Warum aber hat er dann gewonnen? „Vielleicht, weil mein Stück abwechslungsreich war. Das ist eine Suite mit vier verschiedenen Sätzen in der Töne vorkommen, die andere nicht verwendet haben. Harmonisch war das vielleicht dann doch ein bisschen gewagter.“
Tatsächlich kombiniert Scheuers „Kleine Alphornsuite“ Volksmusik-Passagen mit melancholischen Klängen im Songstil von Kurt Weill, Jazziges lässt sich raushören und der vierte Satz, ein Walzer, wäre zum Tanzen ziemlich flott. In seiner Suite zeichnet sich ab, was Scheuer über seine sonstigen Kompositionen sagt: „Meine Musik ist ein Misch-Masch.“ Einerseits gibt es da die sperrige Neue Musik, Stücke nur für Schlagzeug beispielsweise oder seine „Etüde für einen Komponisten“, die im Februar bei dem Festival „Chiffren“ in Kiel aufgeführt wurde. Andererseits hat er vergangenes Jahr ein Musical geschrieben und an seiner Schule auf die Bühne gebracht.
Die Idee, dass er ein Genie sei, findet Scheuer „absolut absurd. Es ist nicht so schwer, sich mit dem Alphorn bekannt gemacht zu haben.“ Aber eine Komponisten-Karriere im Hochkultur-Bereich, ein Ziel für ihn? „Da bin ich noch lange nicht reif für“, sagt Scheuer. „Mein Ziel ist nicht, der große Star zu werden. Ich möchte lieber, dass meine Stücke gespielt werden. Und für Neue Musik interessiert sich normalerweise kein Schwein.“ Eher könnte es populäre Musik werden, in die Neue Musik einfließt.
Worauf die Medien anspringen, das hat Scheuer nun schon mal mitgekriegt. Zwar waren es ausschließlich die Journalisten für das Vermischte und nicht die für Kultur, die sich für ihn interessierten, aber das kann sich ändern. Zumal, wenn die Stücke gespielt werden. KLAUS IRLER