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Archiv-Artikel

Der Club der armen Erfinder

Löschsysteme, CD-Nippel und Wasserräder: Auf der Verbrauchermesser Norla in Rendsburg präsentieren die Mitglieder des Erfinderclubs Schleswig-Holstein ihre Erfindungen. Trotz guter Ideen haben die wenigsten kommerziellen Erfolg

„Viele von uns sind arme Schlucker, und das Risiko der Entwicklung liegt beim Erfinder“

VON ESTHER GEIßLINGER

Karin von Schlenther steht neben ihrem hölzernen Hubschraubermodell, das einen Kasten über einem Wasserbecken trägt, und ihre großen Augen strahlen wie grün-graue Scheinwerfer. „So viele interessante und interessierte Leute“, sagt sie. Einer der Besucher hat ihre Karte mitgenommen und gesagt, vielleicht könne sie Firmen beraten.

Karin von Schlenther ist 77 Jahre alt und Erfinderin. Als Frau fällt sie ein wenig auf in der Runde: Die meisten, die bei der Verbrauchermesse Norla in Rendsburg ihre Ideen präsentieren, sind männlich und in den 50ern. Alle gehören dem Erfinderclub Schleswig-Holstein an, der sich vor rund zehn Jahren gründete. Erfahrungsaustausch und Hilfe bei der Vermarktung ist das Ziel des Clubs.

„Tolle Ideen sind jede Menge da, aber die meisten verschwinden in der Versenkung“, sagt Hans-Jürgen Lenz, lange Jahre Vorsitzender des 50 Mitglieder starken Vereins. Denn der Weg von der Idee zum Produkt ist lang und teuer. „Viele von uns sind arme Schlucker, und das Risiko der Entwicklung liegt beim Erfinder.“ Er selbst hat dauernd Ideen, aber viele verwirklicht er gar nicht mehr: zu teuer, zu aufwendig.

Der 58-jährige Ex-Kapitän fuhr schon mit 14 Jahren zur See: „An Bord ist man darauf angewiesen, erfinderisch zu sein.“ Seit er an Land ist, entwickelt er ständig Neuheiten, kleine und große. Auf der Messe stellt er den „CD-Nippel“ aus, einen Minihalter, damit CDs nicht auf der Tischplatte liegen und zerkratzen. „Nippel?“ Eine Gruppe junger Mädchen bleibt an Lenz‘ Messestand stehen und findet das Wort komisch. Der Erfinder erklärt und führt vor, und die Mädels geben zu, dass die Idee klasse ist. Kaufen wollen sie aber nicht – Lenz bietet die Halterungen zurzeit in Eigenregie an und hofft auf eine Firma, die seine Erfindung in Serie produziert.

„Hinterher sagen die Firmen, hätten wir das bloß gewusst“, sagt er. „Aber wenn wir einladen oder uns auf Messen präsentieren, kommt keiner.“ Und auch die Gelegenheiten, sich dem Publikum zu zeigen, sind selten. Hätte die Norla nicht die Standplätze kostenlos zur Verfügung gestellt, die Mitglieder hätten die Teilnahme nicht finanzieren können. 750 Euro Fördermittel bekommt der Club pro Jahr – nicht eben viel. Vor allem schmerzt die fehlende Beachtung durch die Industrie: So viele gute Ideen, so wenig Mut, etwas zu wagen. „Skurrile Ideen – was ist schon skurril?“, fragt Lenz.

Auf der großen Nürnberger Erfindermesse stellte jemand einen Mechanismus vor, mit dem man durch das Hosenbein pinkeln kann, ohne nass zu werden. Das findet Lenz skurril, „aber wer weiß, vielleicht wäre das in Japan ein Renner“. Seine größte Erfindung ist eine Straße, die durch die Last der darüber fahrenden Wagen Strom erzeugt. Das Interesse der Industrie: Gleich null.

Hartmuth Drews aber hat es geschafft. Sein Wasserrad steht in der Mitte des Erfinderstandes, übermannsgroß und metallisch. Es sieht aus wie ein klassisches Mühlrad, lässt sich aber nach einem Baukastensystem zusammenstecken und läuft federleicht. 70.000 Wasserräder hat es im 19. Jahrhundert in Deutschland gegeben, heute sind 25.000 mögliche Standorte übrig. Stünde an jedem ein Drews-Wasserrad, könnten ein paar Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Der 56-Jährige hat für seine Idee einen Bundesforschungspreis erhalten, das Fraunhofer-Institut hilft ihm, die Technik weiterzuentwickeln, die ersten Räder stehen.

Zurzeit ist die Erfinderei für den Bauingenieur nur ein Hobby, aber allmählich verschiebt sich das Gewicht, vielleicht kann er eines Tages sogar von seinen Ideen leben. Das gelingt den wenigsten: Die modernen Daniel Düsentriebs stecken viel Geld in ihre Ideen und bekommen selten etwas heraus. Manchmal haben sie einfach Pech, so wie Norman Köbsell aus Rendsburg. Er bot seinen patentierten Tortenheber, mit dem kein Stück Kuchen mehr umkippt, der Firma WMF an: „Das wäre was geworden“, sagt er und schaut traurig. Denn bei dem entscheidenden Telefonat sagte er wahrheitsgemäß, dass er auch mit anderen Firmen geredet habe. „Das mochten die gar nicht.“ Nun wird eine kleinere Firma den Heber vertreiben – immerhin.

Köbsell, 65, hat sich fein gemacht für die Messe, Anzug und Krawatte, und viele Flugblätter mitgebracht, auf denen alle seine Erfindungen beschrieben sind. Er ist gelernter Maler, hat aber sein Berufsleben damit verbracht, „Professoren und Doktoren durch Deutschland zu kutschieren“, als Fahrer des Milchforschungsinstituts. Getüftelt hat er schon immer, irgendwann geriet er an den Erfinderclub und gewann sogar Preise bei Messen. „Da hatte ich die Dollarzeichen in den Augen.“ Aber der große Gewinn blieb aus. Köbsell trauert WMF hinterher – so eine Chance, und knapp verpasst.

Karin von Schlenther hat bereits aufgegeben: Ihre neueste Erfindung zeigt sie, obwohl sie kein Patent darauf angemeldet hat. Es handelt sich um eine umgedrehte Archimedische Spirale, die sanft und gleichmäßig Luft in Gewässer pumpen kann. Fischzüchter loben das Gerät, weil es schonender ist als handelsübliche Pumpen. Selbst wenn es gebaut würde, von Schlenther würde keinen Cent sehen: „Wenn ich es öffentlich ausstelle, ist das Patent verwirkt.“ Aber ihre Augen strahlen dabei – wichtig ist, dass Leute kommen und sehen, was hier passiert. Dass vielleicht auch Jüngere sich wieder etwas trauen. Neue Ideen, hat sie gedacht, schaffen neue Arbeitsplätze.

Sie selbst hätte sich viel getraut, aber das Schicksal schlug grausam dazwischen. Die Diplomphysikerin schrieb an ihrer Doktorarbeit, als ihr Mann bei einem Verkehrsunfall vom Hals abwärts gelähmt wurde. 1959 war das. Von Schlenther gab die Stelle an der Universität auf, um ihren Mann zu pflegen: „Die Liebe regiert.“ Falls sie diese Entscheidung jemals bedauert hat, zeigt sie es nicht. 1992 starb ihr Mann, die Witwe wollte „wieder unter Menschen, nicht in die Einsamkeit rutschen“. Sie stieß auf den Erfinderclub und stellte dort ein „Brandbekämpfungssystem aus der Luft“ vor, einen Kasten, der schnell Wasser aufnimmt und auf Knopfdruck ausschüttet.

Verkauft hat sie ihre Idee noch nicht, es existiert nur das kleine Modell. „Mit meinem winzigen Portemonnaie kann ich nicht mehr verwirklichen“, sagt sie. Aber im Moment scheint ihr das gar nicht so viel auszumachen.