: Der Kämpfer und sein Weib
GESCHLECHTER Hat der Krieg der Emanzipation genutzt? Kaum, sagt die Historikerin Christa Hämmerle
■ ist außerordentliche Professorin für Neuere Geschichte und Geschlechtergeschichte an der Universität Wien. Sie befasst sich seit Längerem mit den Themen Kriegs- und Militärhistorie und mit der Biografieforschung. Zuletzt ist erschienen: „Heimat/Front. Geschlechtergeschichte/n des Ersten Weltkriegs in Österreich-Ungarn“, Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2014.
INTERVIEW HEIDE OESTREICH
taz: Frau Hämmerle, das vorherrschende Männerbild vor dem Ersten Weltkrieg in Deutschland war militaristisch. Als sei der Zivilist minderwertig. War das auch ein Kriegsgrund?
Christa Hämmerle: Das Männlichkeitsideal jener Zeit hat sicher auch eine Rolle gespielt. Im 19. Jahrhundert hat sich eine auffällige Form militarisierter Männlichkeit entwickelt, parallel zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. Das liegt daran, dass der männliche Staatsbürger auch Bürgersoldat sein sollte, der seine Nation im Kriegsfall zu verteidigen hat. Man könnte aber auch von einer sozialen Militarisierung sprechen, die auch Frauen umfasste. Krieg wird etwas, was das ganze Volk angeht.
Wie kommt es zu dieser Totalisierung des Kriegswesens?
Das Konzept vom Volkskrieg taucht schon in der Französischen Revolution auf. Da hieß es erstmals, jeder Mann sei aufgerufen, auch Soldat zu sein. Das war zumindest im Diskurs gekoppelt an das männliche Wahlrecht und wurde dann immer wieder als Argument angeführt, um die Frauen vom Wahlrecht auszuschließen: Weil sie keinen Dienst an der Waffe leisten.
Also war eine Kämpferin nicht denkbar? Die Frau war die versorgende Helferin, die strickt, backt, verbindet?
Es gab ja vereinzelt Kämpferinnen, in Russland ab 1917 sogar ein eigenes Frauenbataillon. Kämpfende Frauen wurden aber stark abgewertet, etwa als blutrünstige Flintenweiber des „Todesbataillons“. Immer wenn Frauen im Ersten Weltkrieg die dem weiblichen Geschlecht zugewiesenen Rollen und Räume verlassen und ins militärische Feld eintraten – und das taten sie sehr oft –, wurde das eher abgewertet.
Der Germanist Klaus Theweleit hat die soldatische Männlichkeit als Pathologie bezeichnet. Die Angst vor der „Überflutung“ durch das Weibliche entsteht, weil in den autoritären Gesellschaften kein reifes „Ich“ ausgebildet wurde. Deshalb muss man sich „panzern“ und „stahlhart“ sein. Können Sie damit etwas anfangen?
In Theweleits Analysen fanden sich erstmals wichtige Aspekte behandelt. Etwa diese merkwürdige Ausklammerung der Ehefrauen aus den Memoiren, das ist etwas, das wir auch aus unseren Forschungen zu männlichen Autobiografien kennen. Frauen werden darin oft einfach nicht erinnert, nicht wichtig genommen. Oder die starke Abwehr weiblicher Sexualität, die die von Theweleit behandelten Autoren in „rote Krankenschwestern“ hineinprojizieren, die stark abgewertet werden. Frauen als normale Menschen kommen quasi nicht vor. Ich würde das nicht mehr in so einen psychoanalytischen Rahmen spannen – ob und wie da eine „Ich-Schwäche“ ausgeprägt ist, ist meines Erachtens nicht zu diagnostizieren.
Die akzeptierte Form von Weiblichkeit, das waren Frauen, die den Krieg unterstützen. Wie passt das ins Bild der „friedfertigen Frau“?
Die Frau sollte heilen, lindern und versorgen. Das ist das Konzept der „sozialen Mütterlichkeit“. Ihre „Friedfertigkeit“ wurde meist nicht politisch gesehen als Kriegsgegnerschaft, sondern als notwendige Ergänzung zur kriegerischen Männlichkeit. Die Frauenrechtlerin und Sozialdemokratin Lily Braun schrieb sogar, dass der Krieg endlich wieder zeige, was wahre Männlichkeit und Weiblichkeit ist. Die Errungenschaften der Frauenrechtlerinnen scheinen auf den ersten Blick wie weggeblasen, stattdessen regierte erneut strikte Geschlechterpolarität. Das ist interessant, weil Frauen im Laufe des Krieges diese Grenzen ja zunehmend überschritten.
Inwiefern?
Die Frontschwestern etwa sprachen wie die Soldaten vom „Einrücken“. An der Westfront wurden KFZ-Fahrerinnen eingesetzt. Aber vor allem auch die Frauen, die an der Heimatfront in Männerberufe eintraten, in der Rüstungsindustrie oder als Schaffnerinnen und Straßenbahnfahrerinnen: Das wurde als Vermännlichung von Frauen diskutiert, also als Abweichung vom Ideal. Ebenso gab es den Diskurs über eine Verweiblichung bestimmter Männer. Etwa derjenigen, die dem soldatischen Ideal am wenigsten entsprachen.
Was hieß „soziale Mütterlichkeit“ in der Praxis?
Die Frauen trugen zum Beispiel maßgeblich das damalige „Liebesgabenwesen“. Liebesgaben, das waren die Millionen von Päckchen an die Frontsoldaten und Verwundeten mit Kuchen, Zigaretten, selbst gestrickten Socken, Pulswärmern usw. Auffallend ist, dass diese Rolle der Frauen im Krieg retrospektiv quasi verschwindet: In der Feldpost wurden Liebesgaben aus der Heimat durchaus thematisiert, in den Kriegserinnerungen dagegen kaum mehr. Das war alles selbstverständliche Reproduktionsarbeit. Die vielen Kriegswohlfahrtsarbeiten der Frauen wurden nach dem Krieg kaum erinnert, es dominierte das Bild der trauernden Kriegerwitwe.
Aber es gab viele Frauen in Männerberufen. Gab es einen Emanzipationsschub durch den Krieg?
Das sehe ich sehr kritisch. Die Historikerin Ute Daniel spricht von einer „Emanzipation auf Leihbasis“. Die aktiven Frauen etwa des „Nationalen Frauendienstes“ in Deutschland agieren in der Öffentlichkeit, saßen zum Teil in Räumen der kommunalen Rathäuser. Und auch das Eindringen in Männerberufe erweiterte den Aktionsradius für Frauen. Aber nach 1918 verlagerte sich die Frauenarbeit wieder in die typisch weiblichen Branchen, etwa die Textilindustrie. Nur die Entwicklung bei den weiblichen Angestellten ließ sich nicht mehr ganz umkehren. Ansonsten wurde die kriegsbedingte Frauenarbeit demobilisiert.
Wie ging das?
Viele Arbeitsverträge waren von vornherein auf die Kriegsdauer befristet. Und auch die staatliche Arbeitsmarktpolitik diente dem Abbau der Frauenarbeit. Dass Ehefrauen von Kriegsheimkehrern arbeiten, galt sowieso als völlig überflüssig. Schließlich kam in den Dreißigern das Doppelverdienergesetz: Frauen, die heirateten, wurden aus dem öffentlichen Dienst entlassen.
Und wie wirkte die Demobilisierung auf die Männer? Es gab die Rede von der „Krise der Männlichkeit“ nach dem Krieg.
Wer spricht vom „gebrochenen Mann“? Den Krisendiskurs haben vor allem demobilisierte Offiziere genutzt, das heißt jene Männer, die nun in der Tat jeden Einfluss verloren hatten. Auch das Idealbild der kriegerischen Männlichkeit war ja nicht einfach vom Tisch.
Wie konnte dieses Ideal so schnell wieder so stark werden?
Nach 1918 gab es einen regelrechten Erinnerungskrieg. Am Anfang gab es noch viele pazifistische Stimmen: „Nie wieder Krieg“. Aber in der wirtschaftlich instabilen Situation der Zwischenkriegszeit gewinnen die konservativen Eliten diesen Deutungskampf. In Österreich war die einzige Gruppe, die damals Kriegsmemoiren überhaupt veröffentlichen konnte, die der Offiziere. Die vielen Mannschaftssoldaten hatten kaum eine Stimme.
Wenn wir zum Abschluss in die Gegenwart schauen: Seit geraumer Zeit sind nun auch Frauen in Streitkräften vertreten. Ändert diese Entwicklung etwas am Bild des soldatischen Mannes?
Der soldatische Mann ist zwar heute keine breit verankerte Leitfigur mehr. Dennoch zweifle ich daran, dass sie sich im Kontext des Militärs verändern wird. Es sind zu wenige Frauen, die heute in den Streitkräften dienen, sie passen sich den herrschenden Verhältnissen, der „Männlichkeit des Militärs“ an. Diese strukturiert die Institution und die Anforderungen an das Soldat/innen/sein auch in Zeiten der neu entstehenden Berufsarmeen.