Grüne stehen im Verdacht, elitär zu sein

Die Debatte um ein Grundeinkommen habe die Partei verschlafen, weil sich ihre Spitzenpolitiker nicht für Arme und Arbeitslose interessieren, behauptet Michael Opielka, Professor für Sozialpolitik. Jetzt profiliert sich ein CDU-Mann mit dem Thema

AUS BERLIN KATHARINA KOUFEN

Grüne Sozialpolitik? Kommt seit Jahren zu kurz. Innovative Ideen zur Arbeitsgesellschaft? Fehlanzeige. „Die grüne Parteispitze ist längst Elite geworden, sie interessiert sich nicht wirklich für Arme und Arbeitslose“, sagte Michael Opielka, Politikprofessor in Jena und seit 26 Jahren bei den Grünen, gestern der taz. Gespräche mit prominenten Grünen verliefen „dilettantisch“, ein Großteil der Partei verharre in „ideologischer Versteinerung“.

Besonders ärgerlich: Ausgerechnet ein CDU-Mann, der thüringische Ministerpräsident und überzeugte Katholik Dieter Althaus, profiliert sich jetzt mit dem Thema, inspiriert von der katholischen Soziallehre. „Dabei ist die Idee der Freiheit vom Zwang zur Erwerbsarbeit doch eigentlich urgrün“, sagt Opielka. Und gibt seiner Partei den Rat: „Die Grünen sollten weder rechts noch links sein, ihre Werte weder über Markt noch über Staat definieren, sondern über den Menschen.“

Hintergrund der Vorwürfe ist die Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen. Sie ist so alt wie die Grünen selbst, wurde aber zu Zeiten von Rot-Grün hinter vorgehaltener Hand geführt. Inzwischen trauen sich zwar auch prominentere Grüne wie Boris Palmer aus dem baden-württembergischen Landtag oder Barbara Steffens aus NRW wieder, das Thema auf die Agenden zu setzen. Doch die Parteispitze bleibt vorsichtig. „Wir halten an einer bedarfsorientierten Grundsicherung fest“, so die Parteivorsitzenden Claudia Roth und Reinhard Bütikofer. Sprich: Hartz IV wird allenfalls überarbeitet, nicht aber durch ein anderes System abgelöst.

„Die sind halt immer noch gebrannt von Vorschlägen wie fünf Mark für den Liter Benzin“, erklärt Thomas Poreski von den baden-württembergischen Grünen. Die Vorwürfe von Opielka hält er dennoch für überzogen. „Die Diskussion zum Thema Grundeinkommen ist bei den Grünen so lebendig wie seit 20 Jahren nicht“, sagt Poreski.

Auch das grüne Bundestagsfraktions-Mitglied Markus Kurth findet nicht, dass seine Partei die Sozialpolitik vernachlässigt hat. Statt mit „fragwürdigen Visionen“ wie dem Grundeinkommen sollten sich die Grünen aber besser „mit den Verteilungsfragen im Hier und Jetzt beschäftigen“, sprich: Die Hartz-IV-Sätze anheben und die Mindestlöhne so hoch festlegen, dass ein Arbeitsanreiz bleibt.

Im Büro von Bütikofer verweist man auf den Parteitag im Dezember. Dort soll das Grundeinkommen ebenfalls „Schwerpunktthema“ werden. Im Übrigen, so Sprecherin Heide Schinowski, sei die Materie komplex, „wir müssen erst mal definieren, welches Grundeinkommen wir meinen“.