: Bloggen statt Koranschule
AUFKLÄRUNG lm Netz ist er ein Weltbürger, im richtigen Leben darf er nicht nach Deutschland einreisen: eine grenz- und zeitzonenüberschreitende Begegnung mit Drima, einem Pionier der sudanesischen Bloggerszene
VON MARINA WETZLMAIER
Er nennt sich „Der Sudanesische Denker“. Ein Name, der nach Aufmerksamkeit schreit. Was mag er wohl denken? Auf seinem Blog schweben überall Gedanken, denen das dazugehörige Gesicht fehlt. Die Person bleibt unerreichbar. Zweifel, ob es sie überhaupt gibt. Bis doch eine E-Mail-Nachricht eintrifft: Der Denker willigt in ein Treffen ein. Seinen richtigen Namen möchte er nicht bekannt geben. Noch nicht. Erst, wenn er in ein paar Monaten seine Autobiografie veröffentlicht hat. Der Sudanese ist gerade mal 24 Jahre alt.
Bis dahin solle man ihn einfach Drima nennen. Drima, so wie der Träumer – ein englisches Wortspiel. Das, was er sage, sei außerdem zu heikel, um sein Gesicht im Internet zu zeigen. Auf seinem Blog „The Sudanese Thinker“ tritt er nur unter dem Pseudonym Drima Abu Hamdan auf: „Traditioneller Muslim, frei denkender Sufi-Liebhaber, Glaubenssystem-Junkie, afro-arabischer Musikfreak, antiislamistisch, laut und zum Umfallen großartig“, so beschreibt er sich selbst.
Aufgewachsen im Sudan, unter konservativ religiösem Einfluss, genießt er heute den Freiraum, den ihm das Internet bietet. Dort kann er endlich die Gedanken fließen lassen, die er schon immer loswerden wollte. „Ich bin ein Weltbürger“, schreibt Drima. Die ganze Welt gehöre ihm. Er denkt und bloggt nicht nur im Internet, das Netz ist auch sein Arbeitsplatz. Als Internetmarketingberater betreut er über eine Website Kunden in den USA. Drima lebt mit seinen Eltern in Kuala Lumpur, der Hauptstadt Malaysias. Davor studierte er im arabischen Emirat Katar. Drima gefalle sein mobiler Lebensstil, wie er sein Weltbürgertum nennt. Eigentlich wollte er nach Berlin kommen, um im Rahmen einer Tagung über seinen Blog zu sprechen, doch als sudanesischer Staatsbürger bekam er kein Visum.
So müssen wir uns im virtuellen Raum treffen, im Rahmen einer Videokonferenz auf Skype – und in unterschiedlichen Zeitzonen. In einem dunklen Berliner Café mit WLAN-Zugang, das gleichzeitig gebrauchte Bücher verkauft, rauscht die Espressomaschine. Der Kellner serviert Yogitee mit Milch, als plötzlich das Gesprächsfenster auf dem Bildschirm aufpoppt. Ein junger Mann mit dunklem kurzen Haar und schwarzen Brillenrändern erscheint und blickt neugierig aus dem Bildschirm. Der Sudanesische Denker trägt silberne Ohrringe. Außer der weißen Wand im Hintergrund und der Lehne des schwarzen Schreibtischstuhls, auf dem er sitzt, ist nichts von seinem Zimmer zu sehen. „Wo kommst du her?“, fragt er sofort. „Du siehst aus wie ein Mix. So wie ich auch einer bin.“ Er grinst.
Drima ist ein Pionier der sudanesischen Bloggerszene. Er hatte viele Gründe, warum er 2006 begann, seine Ansichten im Internet niederzuschreiben. „Ich war ein wütendes Kind, das nie Fragen stellen durfte“, sagt er und lacht. Der Blog habe ihm geholfen, Ruhe zu finden. Unter Pseudonym kann er sich austoben, sich über religiöse Dogmen mokieren und die sudanesische Politik kritisieren. Inspiriert war er vor allem von der iranischen und der ägyptischen Internetszene: „Im Sudan war bloggen damals kein Thema, während diese Kultur in Ägypten schon viel weiter war. Die Leute dort sind viel in Foren aktiv und Facebook ist auch ganz groß“, sagt Drima. Mittlerweile ist die sudanesische Bloggergemeinde gewachsen und die Autoren sind untereinander vernetzt. Viele schreiben auf Arabisch, andere, so wie er, auf Englisch.
Auf seinem Blog begibt sich Drima auf Identitätssuche und nimmt die Besucher gleich mit in seinen „Kaninchenbau der Erkenntnistheorie“, wie er schreibt. Schon als Kind war er ein Denker, meint Drima. „Mir wurde immer gesagt, ich solle aufhören, mir so viele Gedanken und Sorgen zu machen.“ Ein Rat, der oft auch die Form eines Befehls annahm, vor allem als er im Sudan die Koranschule besuchte: „Der Imam trichterte mir ein, dass einem Zweifel vom Teufel eingepflanzt würden. Daraufhin hatte ich Angst davor, kritische Fragen zu stellen.“ Drima kommt eigentlich aus einem liberalen Elternhaus – sein Vater holte ihn nach kurzer Zeit wieder aus der Koranschule.
Das nervige Kind in ihm verschwindet nicht, als er älter wird. Dann entdeckt er die Möglichkeiten des Internets. Das Bloggen habe ihn befreit und ihm die Augen geöffnet. Es war wie ein Neustart, ein „Reboot“. „Das war nicht immer schön“, sagt er über seinen Erwerb neuer Erkenntnisse. „Ich musste vieles, an das ich früher glaubte, überdenken und neue Wahrheiten finden.“ Er hält einige Sekunden inne, um seinen Worten Wirkung zu geben. Seine Fähigkeit zu sprechen und zu überzeugen, hat er zu Studienzeiten bei Redewettbewerben trainiert.
Der Lärm der Kaffeemaschine in dem Berliner Café dringt immer wieder durch die Kopfhörer, während die Stimmen der Menschen von Drimas Redefluss überlagert werden. Auf den kleinen Tischen sind während des Gesprächs unbemerkt Teelichter angezündet worden. Eine Frau hat sich mit einem Stapel Bücher an den Nebentisch gesetzt und beginnt nun zu schmökern. Währenddessen versucht Drima auf dem Bildschirm seine Philosophie mit einem Gedankenexperiment zu veranschaulichen.
„Stell dir vor, du müsstest einen breiten Fluss überqueren, der voller gefräßiger Krokodile ist. Zwei Typen bauen dir eine Brücke: Der eine ist Harvard-Absolvent, Ingenieur, und baut dir nach dem neuesten technologischen Stand eine Brücke. Der andere erzählt dir davon, dass er von einer Brücke geträumt hat und dass sie die beste der Welt sei.“ Wem der beiden würde man vertrauen?
Als Drima ein Kind war, erzählte ihm der Imam von der Existenz von Himmel und Hölle. „Kannst du es beweisen?“, fragt sich Drima heute. Man könne genauso wenig beweisen, dass es ein Leben nach dem Tod gäbe, wie dass es keines gäbe. Drima lehnt sich zurück und lacht. Er wisse, dass er gern redet. „Aber ich habe so lange stillgehalten. Und jetzt kann ich alles, was mich beschäftigt, rauslassen“, freut er sich.
Was Drima, der Sudanesische Denker, außer nachdenken noch mache. „Musik. Ich spiele Gitarre“, sagt er und steigt herab von seinen philosophischen Höhen, landet in der Welt normaler junger Menschen. Er höre gern elektronische Musik, sei ein großer Fan von Daft Punk. „Musik hat für mich etwas Spirituelles“, meint Drima und hebt wieder ab.
Touch-and-go.
„Der größte persönliche Erfolg in meinem Leben war es, mich mit dem Islam versöhnt zu haben“, sagt er, es sei eine schmerzhafte Liebesgeschichte zwischen ihm und der Religion, sagt er. Er möchte darüber in seiner Autobiografie schreiben, bald. Er vergleicht Religion, wie sie ihm als Kind aufgezwungen wurde, mit einer arrangierten Hochzeit. Ob es langweilig wäre, was er erzählt, fragt Drima. Dann lacht er: „Ich werde wohl mal als spiritueller Guru enden.“
Es sei die richtige Zeit für sein Buch, denn nun habe er seine Identitätskrise überwunden. Nicht nur spirituell, auch kulturell. Als jemand, der aus dem nördlichen, arabisch geprägten Teil des Sudan kommt, beschäftigen ihn diese Fragen: „Bin ich nun Araber oder Afrikaner?“ Kulturell gesehen ist der Norden arabisch, ethnisch betrachtet afrikanisch. „Was davon ist nun wichtiger für meine Identität?“, fragt er sich. „Warum muss ich mich entscheiden? Kann ich nicht beides wählen?“ Er kommt zu dem endgültigen Schluss, dass er ein Mix ist: Ein Arabo-Afrikaner.
Mit einem kurzen, klingenden Ton schließt sich das Gesprächsfenster. Der Bildschirm wird dunkel, das Stimmengewirr der Menschen im Café lauter. So denkt er also, der Sudanesische Denker.
■ Die Autorin ist 23 und bezeichnet sich als austro-philippinischer Mix
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