: 27 Jahre Haft für bosnischen Serben
Das UN-Tribunal in Den Haag verurteilt den ehemaligen Parlamentspräsidenten Momčilo Krajišnik wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Vom Vorwurf des Völkermordes wird er jedoch freigesprochen. Über ihm stand nur noch Radovan Karadžić
AUS SARAJEVOERICH RATHFELDER
Der serbisch-bosnische Politiker Momčilo Krajišnik ist gestern vom UN-Tribunal für Kriegsverbrechen in Den Haag zu 27 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Richter Alphons Orie sprach den 61-jährigen ehemaligen Präsidenten des Parlaments der bosnischen Serben während des Krieges (1992–95) nach der zwei Jahre dauernden Verhandlung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der Verfolgung und Ausrottung, des Mordes, der Deportierung und Zwangsumsiedlung von nichtserbischen Zivilisten für schuldig. Vom Vorwurf des Völkermordes, der Teilnahme am Völkermord und des Verstoßes gegen die Gesetze oder Gebräuche des Krieges wurde Krajišnik allerdings freigesprochen.
Die Menschen in Sarajevo nahmen die Nachricht gelassen hin. Das Urteil sei angesichts des Alters Krajišniks eigentlich lebenslang, erklärte eine Passantin, deswegen könne man über den Freispruch in Bezug auf den Völkermord hinwegsehen. „Immerhin ist einer der Köpfe jener verurteilt worden, die so viel Leid über uns gebracht haben.“
Mit Krajišnik ist der bisher ranghöchste bosnische Serbenpolitiker, der bisher vor dem Tribunal stand, abgeurteilt worden. Nur der noch flüchtige ehemalige erste Präsident der Serbenrepublik in Bosnien, Radovan Karadžić, stand noch über ihm. Noch kurz nach dem Krieg 1996 wurde Momčilo Krajišnik in das bosnische Staatspräsidium gewählt, wo er täglichen Umgang mit den Politikern aus aller Welt hatte. Er galt damals unter internationalen Diplomaten als Pragmatiker und war ein gesuchter Gesprächspartner. Vor allem der amerikanische Oberkommandierende der internationalen Truppen, Leighton Smith, hofierte ihn. Erst nach 1998 begann in Den Haag die Vorbereitung einer Anklageschrift. Krajišnik wurde am 3. April 2000 von SFOR-Truppen verhaftet und umgehend nach Den Haag gebracht.
Der in Sarajevo im Stadtteil Novi Grad geborene Krajišnik gehörte seit 1990 zum inneren Kreis der serbischen Nationalistenpartei SDS (Serbisch Demokratische Partei), im Juli 1991 wurde er in die Führung dieser Partei gewählt. Als Präsident des bosnisch-serbischen Parlaments von Oktober 1991 bis November 1995 war er nach Ansicht des Gerichts an allen wichtigen Entscheidungen beteiligt. Als Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats der Serbischen Republik in Bosnien und Herzegowina war er verantwortlich für die Verbrechen, die im Zuge der sogenannten ethnischen Säuberungen in Bosnien begangen wurden.
Das Gericht folgte der Anklagevertretung, indem es Krajišnik vorwarf, mit Radovan Karadžić, Slobodan Milošević, Ratko Mladić und anderen eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben, in deren Rahmen die Planung, Vorbereitung oder Ausführung von Verfolgungshandlungen gegen bosnische Muslime, bosnische Kroaten oder andere nichtserbische Bürger geplant und befohlen wurden. So soll Krajišnik für den Aufbau von Gefangenenlagern verantwortlich sein, in denen Folter und sexuelle Übergriffe an der Tagesordnung waren. Er sei auch verantwortlich für Zwangsarbeit und unterlassene medizinische Versorgung der Gefangenen, erklärte das Gericht.
Den Völkermordvorwurf ließ es allerdings fallen. Die von Menschenrechtsorganisationen angestrengte Verhandlung gegen den Staat Jugoslawien – in der Rechtsnachfolge ist das Serbien – wegen des Völkermordes in Bosnien und Herzegowina ist vor einem anderen Gericht in Den Haag noch nicht abgeschlossen.