Letzte Stadtteilzeitung lebendig begraben
Am heutigen Samstag erscheint die letzte Ausgabe der „Buerschen Zeitung“ in Gelsenkirchen. Nach 125 Jahren ist Schluss. „Ohne Not“, schimpft die Gewerkschaft. Und streitet sich intern über Erfolg oder Misserfolg ihres Protests
GELSENKIRCHEN taz ■ Bei der Bestattung haben dann alle noch mal geholfen. Während die Redakteure der Buerschen Zeitung gestern die letzte Ausgabe produzierten, trugen Bürger, Gewerkschafter und Politiker das Blatt in Gelsenkirchen symbolisch zu Grabe. Mit großem Tamtam: Eine Jazzband jammerte, zu Kaffee und Kuchen wurden kritische Reden serviert, ein Trauerzug kroch durch die Gassen. Und warum das alles? Weil die Buersche nun doch für immer schließt. Nach 125 Jahren. Obwohl das doch verhindert werden sollte.
Als der Marler Verleger der Buerschen, Kurt Bauer, Ende März überraschend ankündigte, sein Traditionsblatt einzustellen, war das Getöse groß. Wie zuvor bei der Schließung dreier Lokalredaktionen der Dortmunder Ruhr Nachrichten warf der Deutsche Journalistenverband (DJV) dem Verleger vor, ohne Not Arbeitsplätze und Pressevielfalt aufs Spiel zu setzen. Auch die Gelsenkirchener Bürger protestierten. Ein von der Gewerkschaft Verdi gestützter Arbeitskreis setzte sich sogar die Rettung der letzten Stadtteilzeitung Nordrhein-Westfalens zum Ziel. Vielleicht könnte sie ja fortbestehen. Als Genossenschaft? Mit einem neuen Besitzer? Irgendein Weg würde sich schon finden.
Doch der Protest ebbte rasch ab. Der Arbeitskreis löste sich im Sommer in Luft auf und auch die Gewerkschafter wurden leiser. Dass die Buersche schließt, müsse man „als Faktum hinnehmen“, sagt der NRW-Geschäftsführer des Deutschen Journalistenverbandes (DJV), Kajo Döhring, heute. Natürlich frage man sich immer, ob der Protest zu lasch gewesen sei. Aber das sei müßig. „Ich glaube doch, dass wir Aufmerksamkeit erregt haben“, sagt Döring. Allein die Kampagne „Total lokal“, die sich gegen das gesamte Zeitungssterben im Ruhrgebiet richtet, hält der Gewerkschafter für einen Erfolg.
Aber es gibt auch andere Stimmen: „Mir passte die Zielrichtung des Protests nicht“, sagt etwa der ehemalige DJV-Bundesvorsitzende Rolf Lautenbach. Die Zahlen, die Verleger Bauer bei einem Gespräch mit dem DJV aufgesagt habe, seien „eine Lachnummer“ gewesen. Lautenbach, der heute dem DJV-Bezirksverein Emscher-Lippe vorsitzt, hält Bauers Einladung zum Gespräch für einen „geschickten Schachzug“ und glaubt, dass sich seine Kollegen haben blenden lassen. Zumal daraufhin der Protest abgemildert worden sei.
Auch die Redakteure der Buerschen sind enttäuscht von ihrer Gewerkschaft. Nicht ein Mal habe sich der NRW-Vorsitzende des DJV, Gregor Spohr, in der Redaktion blicken lassen, klagt ein Redakteur. Auf die Trauerfeier könne man dann auch verzichten. Was die Gründe für Spohrs Abwesenheit sind, wissen die Buersche-Mitarbeiter nicht. Sie wissen nur, dass Spohr in einem Dilemma steckt: Als Gewerkschafter kämpft er gegen Verleger, die Zeitungen aufgeben. Als Arbeitnehmer ist er Lokalchef der Hertener Allgemeinen, die zufällig auch von Buersche-Verleger Bauer herausgegeben wird.
Drei Lokalzeitungen gab es einst in Gelsenkirchen-Buer. Im Frühjahr verschwanden die Ruhr Nachrichten, jetzt die Buersche, ab Montag erscheint nur noch die WAZ. Und die buhlt seit Monaten um Kundschaft. Versucht Buersche-Abonnenten abzuwerben. Wirbt. Nimmt auch das Anzeigengeschäft in die Hand: Seit ein paar Wochen erscheint in Gelsenkirchen der Wochenblick, ein Anzeigenblatt der WAZ. Pikant zudem: Sah die Buersche die WAZ früher als Konkurrentin, half sie ihr nun, indem sie unlängst große Anzeigen eines bekannten Elektrofachmarktes veröffentlichte. Sinngemäßer Inhalt: Buersche bald weg. Werbung dann in der WAZ. Bitte umsteigen. BORIS R. ROSENKRANZ