KOMMENTAR VON JÜRGEN GOTTSCHLICH ÜBER DIE WAHLEN IN DER TÜRKEI
: Sieg für den Antidemokraten

Erdogans Erfolgsrezept ist das Freund-Feind-Schema. Die Polarisierung wird sich rächen

Die Hoffnung, dass die Wähler den Allmachtsanspruch des Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan in die Schranken weisen würde, hat sich nicht erfüllt. Erdogan geht als großer Gewinner aus der Kommunalwahl am Wochenende hervor. Daran wird die Türkei noch lange zu tragen haben. Die Grundlage seines Erfolgs ist die gnadenlose Polarisierung, in die er die Türkei geführt hat. Die Verteufelung des politischen Gegners als Verräter, Chaot oder gar Terrorist verfängt bei seinen Anhängern gut. Aber sie wird sich rächen.

Denn es sind, wie ein Blick auf die politische Geografie Istanbuls zeigt, die modernen Mittelschichten, die Erdogan mittlerweile geschlossen in das oppositionelle Lager getrieben hat, sei es aufgrund seiner autoritären, undemokratischen Reaktion auf die Gezi-Proteste oder seiner völlig ungenierten persönlichen Bereicherung, die die aufgeklärten Schichten des Landes immer mehr abstoßen.

Erdogans Anhänger sind die Aufsteiger aus Anatolien, die Selfmademänner, die das Land zubetonieren und auf dieses Geschäft auf keinen Fall verzichten wollen. Demokratische Regeln, funktionierende Institutionen, faire Wahlen interessieren sie nicht, gesellschaftliche Toleranz ist ihnen weitgehend fremd. Wer nicht bei dem der AKP eigenen Stil – jener Mischung aus Bigotterie, Geschäftssinn und Ignoranz – mitmachen will, ist der Feind, den man bekämpfen muss.

Erdogan hat das „Wir“ und „die Anderen“ als politischen Topos in der Türkei fest etabliert. Während der Gezi-Proteste, als es aufgrund seiner Härte gegen „die Anderen“ Tote gab, kamen einem Teil seiner eigenen Partei Zweifel, ob das wirklich die Politik ist, die man die nächsten 10 Jahren fortsetzen sollte. Der große Zampano geriet unter Druck, seine Eignung als kommender Staatspräsident wurde auch in den eigenen Reihen infrage gestellt.

Damit ist es jetzt vorbei. Erdogan hat sich mit seiner kompromisslosen Härte durchgesetzt, niemand innerhalb der AKP wird seinen Präsidentschaftsambitionen noch widersprechen. Erdogan kann sich sicher sein, spätestens im zweiten Wahlgang im August dieses Jahres zum Präsidenten gewählt zu werden. Und es ist jetzt sehr wahrscheinlich, dass es ihm gelingen wird, aus dem eigentlich eher repräsentativen Präsidentenjob das Machtzentrum des Landes zu machen und lediglich einen Ministerpräsidenten von seinen Gnaden zu dulden. Der jetzige Staatspräsident Abdullah Gül, von vielen in der AKP und dem liberaleren Wirtschaftsflügel im Umfeld der Partei als gemäßigte Alternative zu Erdogan gehandelt, kann seine Ambitionen begraben.

Die Finanzmärkte haben auf den Wahlsieg Erdogans mit einem Kurssprung reagiert, weil der Islamist in ihren Augen für Stabilität steht. Der Preis für diese nur scheinbare Stabilität aber ist der Niedergang der Demokratie und des Rechtsstaates sowie der Ausschluss des modernen, kreativen Teils der Gesellschaft.