Drastisches Vokabular

betr.: „Holocaust-Industrie am Niederrhein“, taz nrw vom 19. 9. 06

Mit Befremden habe ich Ihre Kritik vom 19. September zur Uraufführung von Stefan Heuckes Oper „Das Frauenorchester von Auschwitz“ im Theater Mönchengladbach gelesen. Natürlich kann man das Stück musikalisch wie szenisch kontrovers diskutieren, aber diese Kübel an Häme und verbalen Gemeinheiten, die über Komponist wie Regisseur in Ihrer und noch einigen anderen großen Tageszeitungen – übrigens mit auffallend ähnlich drastischem, fast gehässigem Vokabular – ausgeschüttet worden sind, stimmen doch sehr nachdenklich. Offenbar geht es diesen Herren Journalisten, die man schon vor der Aufführung hat zusammenstehen sehen, nicht um eine seriöse Besprechung. Sonst hätten sie z. B. erwähnt, dass sich Frau Anita Lasker-Wallfisch, die einzige noch Überlebende aus dem Frauenorchester, in der vorangegangenen Pressekonferenz voll hinter das Stück gestellt hat, all ihren ursprünglichen Einwänden zum Trotz. Ja, sie wird sogar eigens zur Krefelder Premiere am 26.11. noch einmal aus London anreisen, was sie mit Sicherheit nicht tun würde, wenn sie dieses Projekt nicht befürworten würde. Kein Wort davon in Ihrer Kritik, Ihre Leserschaft soll offenbar ganz gezielt nicht informiert werden.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier eine bestimmte Meinung gesteuert werden soll. Erstens soll diktiert werden, wie zeitgenössische Musik zu sein hat. Wenn sie nicht wenigstens so brutal klingt, dass beim Hörer Fluchtgedanken aufkommen, oder so distanziert, dass nur eine Gruppe spezialisierter Insider angesprochen wird, gilt sie von vornherein als vorgestrig oder trivial. Zur Untermauerung wird dann noch angeführt, dass der Komponist sich bisher ja vorwiegend durch protestantische Kirchenmusik hervorgetan habe. Offenbar ist dem Rezensenten entgangen, dass dieser immer wieder mit sinfonischen Werken beauftragt wird und dass dessen Tanzoratorium „Die Ordnung der Erde“ nach dem Gilgamesch-Epos 2001 mit spektakulärem Erfolg im Musiktheater Gelsenkirchen zur Aufführung kam. Zweitens darf einer Oper, die den Holocaust zum Thema hat, einfach kein Erfolg beschieden sein, sie darf noch nicht einmal als Versuch einer ernsthaften Auseinandersetzung gewürdigt werden. Lieber wird dem Komponisten – wider besseres Wissen – Verlogenheit oder Rücksichtslosigkeit unterstellt, ein Vorwurf, der in diesem Falle schon einer Verleumdung gleichkommt. Interessanterweise stimmen die regionalen Blätter in ihren Kritiken überwiegend andere Töne an. Sie geben wieder, wie die Mehrheit der Opernbesucher die Aufführungen erlebt: als eindringliche, tief berührende musikalisch-szenische Annäherung an eine ungeheuerliche, nach wie vor nicht fassbare Realität, wie sie das Frauenorchester verkörpert hat. Aber das ist in den Augen dieser Kritiker ja Bewältigungskitsch für ein Publikum, das eh nicht kompetent genug ist, um sich ein adäquates Urteil zu bilden. Auf diese Art und Weise kann man auch das Publikum diffamieren.

VERENA FUNTENBERGER, Essen