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Archiv-Artikel

NIE WÜRDEN WIR EINEM MANN VERTRAUEN, DER UNS IM REISEBUS WITZE ÜBER BUMSENDE IGEL ERZÄHLT UND ÜBERTEUERTE LAMA-DECKEN AUFSCHWATZEN WILL. NEIN, FÜR UNS HÄLT DAS SYSTEM GANZ ANDERES BEREIT Dem Kapitalismus gewachsen

Foto: Lou Probsthayn

KATRIN SEDDIG

Zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde in Oldenburg ein einundvierzigjähriger Cloppenburger, weil er KaffeefahrtenteilnehmerInnen betrogen hat. Er hat das umfangreich und professionell angestellt, aber eigentlich so professionell auch wieder nicht. Das war vielleicht auch nicht nötig, denn seine Kundschaft war wohl eher naiv und/oder gutgläubig, vielleicht auch voller Hoffnung und ohne Zugang zum Internet oder zumindest Informationen, die man sich darüber wohl leicht hätte besorgen können.

Er hat gefälschte Gewinnbenachrichtigungen verschickt und die Leute stiegen dann in einen Bus, um ihren Gewinn abzuholen. Für den Fall, dass sie nicht willens waren, in den Bus zu steigen, wurde ihnen sogar ein bisschen gedroht. Also stiegen doch recht viele Leute ein, um irgendwohin zu fahren, wo sie für zwölftausend Euro eine Katzenfell-Decke oder eine Faltenwegsalbe kaufen sollten und jedenfalls keinen Gewinn bekamen.

Aus irgendwelchen Gründen legen die Leute bei solchen Veranstaltungen ihr Sparkonto auf den Tisch. Weil der einundvierzigjährige Cloppenburger ihnen klarmacht, dass sie ohne eine silberne Küchenreibe gar nicht mehr leben können, oder dass ihr Leben jedenfalls wertlos ist ohne dieses Titan-Kofferset. Irgendwann später wird ihnen vielleicht klar, dass sie keine Matratze brauchen oder die Matratze teurer ist als ihr Haus und sie übers Ohr gehauen wurden. Dann schämen sie sich vielleicht, die Leute schämen sich immer, wenn sie übers Ohr gehauen werden, und packen die Kamelhaarkissen in den Schrank auf dem Wäscheboden, bis die Motten sie dezent beseitigt haben.

In die Sorte Handel fällt auch das Haustürgeschäft. In meinem alten Dorf haben sie alle zu Hause einen ganzen Berg mund- und fußgemalter Glückwunschkarten, dazu einen Spezial-Staubsauger, Zeitungs- und Wein-Abonnements, synthetische blaue Orientteppiche aus Polen und natürlich Versicherungen und Geldanlagen, von denen ihnen am Lebensende ein Minusbetrag übrig bleibt. Jeder Rentner in meinem alten Dorf ist mal in einen Bus gestiegen und mit einer Decke wiedergekommen. Alle glauben sie, nur einmal hereinfallen zu können und alle sind sie Teil des Systems, in dem man immer wieder hereinfallen muss.

Wir lachen. Wir sind keine Rentner, noch nicht, und wir finden uns ganz schön schlau und dem Kapitalismus gewachsen. Wir würden niemals einem Mann vertrauen, der uns alle duzt und uns in einem Reisebus Witze über bumsende Igel erzählt. Wir würden auch keine Herzmedikamente in einer Mehrzweckhalle bei der Autobahn kaufen. Das alles nicht. Wir sind aber auch gar nicht die, die das sollen. Für uns ist der Bus nicht gechartert, für uns sind die Witze nicht gemacht.

Für uns hält das System ganz andere einundvierzigjährige Cloppenburger bereit. Ein neuer I-Pod, ein neues Smartphone, eine Hose mit Schlag, dann wieder Röhre, dann doch wieder Schlag. Ein neuer Fernseher, HD, einer, auf dem man streamen kann. Braucht man. Unbedingt. Ein Zwölfklingenrasierer, kein Mann rasiert sich noch mit einer einzigen Klinge, ein neuer Wagen, Urlaub auf den Malediven, so lange es sie noch gibt, neue Software. Und Hardware, sonst geht die neue Software nicht, Erweiterungen und mehr Speicherplatz, braucht man einfach, einen großen Freundeskreis auf Facebook, Whatsapp, Twitter, möglichst viele Follower braucht man, neue Laufschuhe, möglichst gut gedämpft, ach nee, jetzt nicht mehr, jetzt wieder Barfußschuhe ohne Dämpfung, braucht man wirklich.

Wir konsumieren aufgeklärt, wir vergleichen die Preise, wir finden im Internet den billigsten Anbieter, wir lassen uns nicht über das Ohr hauen. Wir steigen nicht in den Bus, wir kaufen keine Lama-Decke. Wir kaufen nur 100.000 andere Sachen, die wir brauchen. Die wir unbedingt brauchen. Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen