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Archiv-Artikel

„Wir warten auf niemanden“

ALTER MEISTER Heute beginnt die Viennale, das Wiener Filmfestival. Mit einem neuen Film dabei ist Monte Hellman, der große Nonkonformist von New Hollywood. Ein Gespräch

Monte Hellman

■ 1932 in New York geboren.

■ Eine der prägenden Figuren des New-Hollywood-Kinos. Mit seinem Western „The Shooting“ (1967) und seinem Autorenn-Film „Two-Lane Blacktop“ (1971) entwickelte er eine spröde, fast dokumentarisch anmutende Bildsprache, die viele Filmemacher beeinflusste – zum Beispiel Quentin Tarantino und Romuald Karmakar.

■ 1992 war Hellman ausführender Produzent von Tarantinos Regiedebüt „Reservoir Dogs“.

■ „Road to Nowhere“ ist sein erster abendfüllender Film seit „Silent Night, Deadly Night III: Better Watch Out! (1989).

INTERVIEW CRISTINA NORD

taz: Herr Hellman, Ihr neuer Film „Road to Nowhere“ ist ein enorm verschachtelter Krimi, der sich von Ihren bisherigen Arbeiten, den nihilistischen Western und dem Autorennfilm „Two-Lane Blacktop“, stark unterscheidet.

Monte Hellman: Ich habe noch nie einen Filme gedreht, der nicht-linear erzählt ist. Dies ist die erste Erzählung, die zwar einen Anfang, einen Mittelteil und ein Ende hat, aber nicht in dieser Reihenfolge. Und es ist das erste meiner Projekte, das ich auf mich allein gestellt, unabhängig habe verwirklichen können. Alle anderen Filme wurden von jemand anderem begonnen; ich wurde später angeheuert.

Trotzdem könnte der Titel, „Road to Nowhere“, auch zu „Two-Lane Blacktop“ passen. In beiden Filmen geht es um den Verlust von Orientierung. Sehen Sie Ähnlichkeiten?

Thematische vielleicht. Dass viele Kritiker „Two-Lane Blacktop“ „Road to Nowhere“ nannten, fiel mir erst hinterher auf, nicht beim Drehen. „Road to Nowhere“ ist ein Ort in North Carolina, und das war die Inspiration für den Titel. Wir haben den Film dort gedreht.

Es gibt ein Dorf namens Road to Nowhere?

Kein Dorf, eine Straße. Die Bundesregierung ließ einen Staudamm bauen, dadurch mussten viele Menschen ihre Häuser verlassen. Die Straße sollte zu den alten Friedhöfen führen, und die Bauarbeiten begannen 1940 oder 1942. In den 60er Jahren wurden sie abgebrochen, die Straße wurde nie fertiggestellt.

Es ist eine Weile her, seit Sie Ihren letzten abendfüllenden Spielfilm gedreht haben. Was haben Sie in der Zwischenzeit gemacht?

Nun, ich arbeitete an einigen Sachen, die nicht verwirklicht werden konnten. Francis Ford Coppola stellte mich ein, wir arbeiteten drei Jahre an einem Drehbuch, aber es wurde nie umgesetzt. Mit Quentin Tarantino zusammen verfolgte ich ein Projekt für Miramax, daran saßen wir zwei Jahre, bevor es aufgegeben wurde. Ich war einer der ausführenden Produzenten von „Reservoir Dogs“, und ich habe einen 35-Minuten-Film gedreht, der Teil eines Langfilms war, über Stanley Kubrick. Das ist vier Jahre her.

Wenn Sie lange an etwas arbeiten, was dann nicht verwirklicht werden kann – stecken Sie das einfach so weg?

Im Gegenteil, es ist das Schlimmste, wenn jemand einen Film für einen produzieren möchte und es nicht klappt. An etwas zu arbeiten in der Erwartung, dass die Produktion stattfinden wird, und dann zu erleben, dass es nie losgeht, das ist sehr frustrierend.

Diesmal war es anders, unter anderem, weil Ihre Tochter Produzentin war.

Letztlich geht es doch darum, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. Ich habe so viel Zeit meines Lebens darauf verwendet zu warten, dass mir die Erlaubnis, einen Film zu drehen, erteilt wird. Diesmal habe ich mir gesagt: Wir machen das. Wir warten auf niemanden. Und wir haben es gemacht. Das war ein echtes Gefühl von Freiheit.

Die Hauptfigur von „Road to Nowhere“ heißt Mitch Haven, hat also dieselben Initialen wie Sie. Ich habe gelesen, Ihr Geburtsname sei Himmelman…

Nah dran, aber nicht ganz.

Wie lautet er denn?

Himmelbaum. Einmal hat mir eine Presseagentin ein Radiointerview vermittelt. Der Moderator hieß Heffelfinger. Sie sagte, ich dürfe ihm auf keinen Fall sagen, dass ich Himmelbaum heiße, er würde sich sonst verarscht fühlen. So habe ich mir ganz schnell einen anderen Namen überlegt: Haven. Es war der Name einer Figur, die ich in dem Stück „The Philadelphia Story“ gespielt hatte, C.K. Dexter Haven. Einen Sommer lang nannte ich mich Haven, aber weil ich mir das so schnell ausgedacht hatte, war ich nicht zufrieden damit und änderte den Namen in Hellman um.

Hat dieser Mitch Haven noch mehr mit Ihnen zu tun? Immerhin ist er auch Filmregisseur.

Stephen Gaydos, der Drehbuchautor, entwickelte Haven als eine Figur, in die die vielen Jahre unserer gemeinsamen Arbeitserfahrung einfließen sollte. Am Anfang beruhte die Figur schon auf meiner Persönlichkeit. Aber sie nahm schnell die Persönlichkeit von Tygh Runyan an. Denn das ist meine Arbeitsweise: Ich möchte nicht, dass der Schauspieler versucht, wie ich zu sein. Er soll die Figur füllen.

Als Sie den Film im September in Venedig vorstellten, gab es bei der Pressekonferenz einige Leute, die sagten, sie hätten den Film nicht ganz verstanden. Sie selbst sagten, es sei ein Rätsel, das man nicht lösen könne.

Das ist ein bisschen irreführend. Wenn Sie den Film zwei- oder dreimal sehen, liegt der Plot glasklar vor ihnen. Das ist nicht das Problem. Das Rätsel des Films ist: Wo hören die Spiegelungen auf? Sie sehen eine Geschichte in einer anderen Geschichte, darin entdecken Sie dann eine weitere Ebene und schließlich eine vierte, und das ist das Rätsel, was sich nicht lösen lässt.

In einer zentralen Szene geschehen zwei Morde. Ich war mir ganz sicher, dass die Szene nicht zum Film-im-Film gehört, sondern zur ersten Ebene des Plots. Anschließend schwenkt die Kamera ein wenig, und man sieht ein Kamerateam, das offensichtlich die Szene gefilmt hat, aber eben nicht das Team ist, das wir aus der ersten Ebene des Films kennen. Das hat mich sehr durcheinandergebracht.

Genau das ist das Rätsel!

Viennale

■ Das Wiener Filmfestival wird heute Abend mit dem französischen Film „Des hommes et des dieux“ von Xavier Beauvois eröffnet. Es dauert bis zum 3. November, zeigt ein sorgfältig kuratiertes Programm aus 84 Spiel- und 60 Dokumentarfilmen, dazu diverse Sonderreihen und eine Éric Rohmer gewidmete Retrospektive. „Road to Nowhere“ läuft morgen und übermorgen. Das Programm findet sich unter www.viennale.at

Sie werden es für mich nicht lösen, oder?

Ich kenne die Antwort ja selber nicht. Es ist ein bisschen wie die Frage nach dem Ursprung des Universums. Hat Gott das Universum geschaffen? Aber wer hat Gott geschaffen? Das ist das Rätsel.

Sie sagen, Ihre Träume seien eine Inspirationsquelle für Ihre Arbeit. Erinnern Sie sich an Ihre Träume?

Ja, und ich schreibe oft Diologe in meinen Träumen. Einige Dialoge aus diesem Film habe ich geträumt. Vor allem in den Szenen, die in Italien spielen.

Ich habe manchmal den Eindruck, meine Träume seien davon beeinflusst, dass ich viele Filme sehe. Sie haben eine Dramaturgie und Plot points und Kamerafahrten. Geht Ihnen das auch so?

Das passiert mir auch. Aber ich träume auch, während ich Filme gucke. Manchmal komme ich aus dem Kino und weiß nicht, was zum Film und was zu meinem Traum gehört.

Weil Sie einschlafen?

Nein! Weil ich erfinde, während ich schaue, und beides sich miteinander vermischt. Deswegen kann ich mich selten an die Handlung eines Filmes erinnern. Während ich einen Film schaue, fühle ich mich angeregt, meine eigene Welt zu erschaffen. Das möchte ich gerne mit meinen eigenen Filmen beim Publikum anregen. Ob es mir gelingt, weiß ich nicht, aber es ist ein Ehrgeiz.