piwik no script img

DIE RUSSISCHE HYSTERIE WEGEN GEORGIEN HAT IHRE FUNKTIONImperialismus als Flucht vor sich selbst

Georgische Truppen stehen kurz vor Moskau – diesen Eindruck vermittelt zumindest Russlands Staats-TV, seit letzte Woche vier Angehörige des russischen militärischen Geheimdienstes in Tiflis wegen Spionageverdachts festgenommen wurden. Offenbar sind die Beweise erdrückend, denn Russland versuchte nicht einmal zu dementieren. Stattdessen wird die heimische Öffentlichkeit aufgeheizt und auf Verteidigungsbereitschaft eingeschworen, als wäre die Heimat in Gefahr.

Für eine wieder zur Geltung gelangte, vor Selbstbewusstsein strotzende Großmacht ist die Hysterie im Angesicht des georgischen Davids ein eigentümliches Verhalten. Natürlich ist auch Georgiens Präsident Michail Saakaschwili nicht gerade ein begabter Deeskalierer. Auch der Georgier instrumentalisiert die Pathologien des Nachbarn für eigennützige Interessen. Doch Fakt bleibt Fakt. Russlands Truppen in Abchasien und Südossetien, den von Separatisten beherrschten Teilen Georgiens, tragen nicht zur Befriedung bei, sondern werden als Hebel genutzt, um Georgien zu destabilisieren. Mit der völkerrechtswidrigen Aushändigung russischer Pässe an die Bewohner der abtrünnigen Regionen demonstriert der Kreml, worum es ihm tatsächlich geht.

In Moskau feiert der Neoimperialismus propagandistisch und ideologisch fröhliche Urständ. Russland löste Modernisierungszwänge immer expansiv, mit Hilfe von Militär und Kolonisierung. Innergesellschaftliche Strukturen und Machtverhältnisse wurden nur äußerlich angepasst, im Wesen aber nicht angetastet. Permanentes Staatsversagen und gesellschaftliche Unbeweglichkeit sind die Folgen. Nach einem Face-Lifting bleibt alles beim Alten. Und auch wenn die expansive Flucht vor sich selbst offensichtlich nicht mehr funktioniert, verfällt Moskau auf denselben Reflex. Statt der Raumnahme fällt nun dem Energiereichtum die Funktion zu, Reformen zu unterbinden.

So schaufelt sich Moskau sein eigenes Grab. Auch wenn das niemand wahrhaben will: Der übermächtige Nachbar Georgiens ist eigentlich ein ohnmächtiger. KLAUS-HELGE DONATH

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen