Immer unverbogen

Zu DDR-Zeiten war Frank Beyer spätestens mit „Spur der Steine“ bei der SED in Verruf. Jetzt ist der Regisseur im Alter von 74 Jahren gestorben

von CLAUS LÖSER

Im Herbst 1999 folgte Frank Beyer einer Einladung nach New York. Sein Klassiker „Jakob der Lügner“ war nach der Neuverfilmung in Hollywood wieder ins Gespräch gekommen, am Museum of Modern Art zeigte er eine frische Kopie des Films mit englischen Untertiteln. Nach der Vorführung berichtete er im vorrangig von betagten jüdischen Emigranten voll besetzten Kinosaal über die komplizierten Entstehungshintergründe seines Films. Befragt nach der Qualität des Remakes antwortete er diplomatisch: „My film is an old film from East Germany, the other film is a new film from Hollywood.“

Aus diesem Satz sprach sein ganzer, dialektisch geschulter Humor. Er half Beyer auch bei seiner Antwort auf die Frage, inwieweit sich die Arbeit als Filmemacher im Sozialismus von der im Kapitalismus denn unterscheiden würde: „Former we had censorship, now we have sponsorship.“ Tatsächlich erzählte Beyer liebend gern und voller Anekdoten von seiner Arbeit als Regisseur. Er liebte es, den Pointen seiner Erzählungen nachzulauschen, das Echo der Zuhörer aufzunehmen.

Auch seine Filme zeugen von dieser Lust am Erzählen, von der Faszination unerwarteter, dabei unausweichlicher Konstellationen. Sie werden als DEFA-Ausnahmefilme bestehen bleiben, sind als tief humanistische Botschaften bereits in die gesamtdeutsche mediale Erinnerung eingegangen. Arbeiten wie „Fünf Patronenhülsen“ (1960), „Nackt unter Wölfen“ (1962), „Karbid und Sauerampfer“ (1963) oder „Der Aufenthalt“ (1982) gehören zu den qualitativ überdurchschnittlichen Hinterlassenschaften aus Potsdam-Babelsberg. Und „Jakob der Lügner“ ist völlig zu Recht der einzige ostdeutsche Film, der es je zu einer Oscar-Nominierung als „Beste fremdsprachige Produktion“ gebracht hat.

1932 wird Frank Beyer in Treben in der Nähe von Altenburg geboren. Sein Vater fällt 1943 an der Ostfront. Das rothaarige, sommersprossige Kind wird im Dorf gehänselt. 1945 baut es als Pimpf noch Panzersperren für den Endsieg. Nach dem Krieg befreit Beyer sich aus der provinziellen Enge, arbeitet zunächst für den Kulturbund, wird dann Dramaturg und Regieassistent am Altenburger Stadttheater. Als gerade einmal Zwanzigjähriger wird er 1952 zum Regiestudium an die legendäre Prager Filmhochschule delegiert. Unmittelbar nach dem Studium dreht Beyer 1956 mit „Zwei Mütter“ sein Spielfilmdebüt, das zwar mehr als 2 Millionen Kinobesucher mobilisiert, dem aber „mangelnde Parteilichkeit“ und „kleinbürgerlicher Pazifismus“ vorgeworfen werden.

Von nun an ist seine Laufbahn ohne Eingriffe und Verbote nicht mehr denkbar. „Karbid und Sauerampfer“, die vielleicht beste DEFA-Komödie überhaupt, sieht sich mit Vorwürfen konfrontiert, die ruhmreiche Sowjetarmee lächerlich zu machen. „Spur der Steine“ wird 1966 von den Folgen des berüchtigten 11. Plenums des ZK der SED erfasst. Nach einer vernichtenden Kritik im Neuen Deutschland und inszenierten Krawallen von vorgeblichen Arbeitern wird der Film abgesetzt und verboten, sein Urheber in die Provinz abgeschoben.

Auch danach bleibt Beyers Verhältnis zur DDR widersprüchlich. Nach Jahren der Arbeit am Staatsschauspiel Dresden und beim Fernsehen kann der Regisseur erst 1975 wieder einen Spielfilm inszenieren. 1976 fällt er als einer der Erstunterzeichner der Petition gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns erneut in Ungnade, 1977 wird er aus der Partei ausgeschlossen. Im Westen darf Beyer für das Fernsehen arbeiten, bleibt dabei aber DDR-Bürger. Ab 1982 dreht er auch wieder in Babelsberg einige Spielfilme.

Nach dem Ende der DDR setzen sich die beruflichen Enttäuschungen allerdings fort. Ein weiterer Leinwanderfolg vom Format der „Spur der Steine“ gelingt Frank Beyer nicht. Vielleicht wären ja die „Jahrestage“ nach Uwe Johnson sein großer später Wurf und sein genialisches Alterswerk geworden – nach Zerwürfnissen mit der Produktion wird ihm jedoch im Jahr 2000 das Projekt aus der Hand genommen und an Margarethe von Trotta entsorgt. Beyer arbeitet trotz aller Nackenschläge unverdrossen weiter, verfasst unmittelbar nach dem „Jahrestage“-Debakel unter dem Titel „Wenn der Wind sich dreht“ seine Erinnerungen. Hier bilanziert er: „Möglicherweise bin ich in meiner Generation in der DDR der Filmregisseur mit den größten Erfolgen und den schlimmsten Niederlagen gewesen.“ Diesem Credo bleibt nichts hinzuzufügen.